Die Mobilität der Zukunft spricht alle Generationen an

Ein älterer Mann mit Maske sitzt in einem Bus und schaut aus dem Fenster.

Fahrgast

06. September 2022

Wie kann sichere Mobilität und hierüber soziale Teilhabe im Alter gewährleistet werden? Manfred Stranz, Vorstandsmitglied der Landesseniorenvertretung NRW (LSV NRW), formuliert klare Ansprüche an ein einheitliches ÖPNV-System.


Carsharing, Leihrad oder On-Demand-Verkehr: Die öffentliche Mobilität wird immer vernetzter, immer digitaler und – zumindest gefühlt – immer jünger. Dabei bilden gerade ältere Menschen eine wichtige Zielgruppe für den öffentlichen Verkehr und seine Anbieter. Im Gespräch mit Fokus Bahn NRW fordert Manfred Stranz, Vorstandsmitglied der Landesseniorenvertretung Nordrhein-Westfalen (LSV NRW), nachhaltige Lösungen für die Mobilität älterer Menschen und eine aktive Mitsprache von Fahrgästen im Nahverkehr auf Schiene und Straße.


Was bedeutet Mobilität für ältere Menschen?


Manfred Stranz: Wir Senior/innen wollen selbstständig sein und am sozialen Leben teilhaben. Dafür müssen wir mobil sein. Das ist ein Grundbedürfnis und ein wesentlicher Faktor von Lebensqualität – bei älteren genauso wie bei jüngeren Menschen. Wir müssen zum Arzt und zum Einkauf in die Stadt, wir wollen Freunde treffen und unsere Familien besuchen. Mobilität sichert Kontakte, ohne diese wachsen Isolation und Einsamkeit. Wenn man aber über Mobilität und Partizipation im Alter reden will, dann muss man sich auch darüber verständigen, wann man „alt“ ist. Das ist gar nicht so einfach – und hat auch viel mit der eigenen Mobilität, also der körperlichen Beweglichkeit zu tun. Und da sind wir gleich bei unserem Thema: der Mobilität von Senior/innen im ÖPNV und im SPNV. Die Fragen, die wir als Landesseniorenvertretung stellen, lauten: Wie kommt ein mobiler Mensch zur nächsten Bus- oder Bahnhaltestelle? Wie gewinnen mobile Menschen Anschluss an die öffentlichen Verkehrsangebote? Ich sage hier bewusst „mobile“ und nicht „ältere“ Menschen. Denn diese Fragen stellen sich generationsunabhängig. ÖPNV für ältere Menschen ist ÖPNV für alle.


Es geht Ihnen also um die erste bzw. letzte Meile?


Manfred Stranz: Oder auch nur um 400 bis 500 Meter. Die öffentlichen Verkehrsunternehmen können einen persönlichen Zubringerdienst natürlich nicht leisten. Die Suche nach nachhaltigen Lösungen für die Mobilität älterer Menschen muss aber über verkehrssystemimmanente Ansätze hinaus gehen. Wir brauchen eine barrierefreie Infrastruktur mit sicheren Wegen für Fußgänger/innen und sicheren Trassen für Radfahrer/innen. Wir müssen die Möglichkeiten alternativer Bedienformen und moderner Mobilitätsangebote stärker austarieren. Bürgerbusse in ländlichen Regionen und Stadtrandlagen, die neuen On-Demand-Verkehre, autonome Minishuttles oder auch nachbarschaftliches Carsharing bieten vielerorts schon gute Lösungen, aber leider gibt es diese guten Lösungen nicht flächendeckend. Und genau darin liegt unser Problem: Uns als Landesseniorenvertretung fehlt ein einheitliches öffentliches Verkehrsangebot in Nordrhein-Westfalen. Uns fehlen einheitliche Vorgaben für die ÖPNV-Gestaltung und uns fehlen die zentralen Ansprechpartner/innen, um vor Ort die richtigen Mobilitätsangebote zu entwickeln.


Portrait von Manfred Stranz, Landesseniorenvertretung NRW Quote

Die Suche nach nachhaltigen Lösungen für die Mobilität älterer Menschen muss aber über verkehrssystemimmanente Ansätze hinaus gehen. Wir brauchen eine barrierefreie Infrastruktur mit sicheren Wegen für Fußgänger/innen und sicheren Trassen für Radfahrer/innen.

Manfred Stranz

Landesseniorenvertretung NRW (LSV NRW)

Die Digitalisierung gilt als Schlüssel zu innovativen Verkehrsangeboten im Sinne von Mobility-as-a-Service. Darunter versteht man die Vernetzung von öffentlichen und privaten Mobilitätsdienstleistungen. Inwieweit kommt das den Mobilitätsanforderungen älterer Menschen entgegen?


Manfred Stranz: An der Digitalisierung führt kein Weg vorbei und sie macht die vernetzten Mobilitätsangebote, die wir uns als Landesseniorenvertretung wünschen, wohl erst möglich. Aber einmal ganz davon abgesehen, dass einige ältere Menschen noch keine Smartphone-Profis sind, ändert die Digitalisierung nicht das Grundproblem der fehlenden Einheitlichkeit im ÖPNV. Wir brauchen im Zeitalter von Digitalisierung und Mobilität ein einheitliches Tarifsystem und ein einheitliches Fahrgastinformationssystem. Natürlich gibt es inzwischen den eTarif eezy und zuginfo.nrw als unternehmensübergreifende Fahrgastinformation im SPNV. Aber mal ganz ehrlich: Wir kennen das nicht und wir verstehen das nicht, ganz egal, wie smartphoneaffin wir schon sind oder nicht. Da kommt noch einmal ein eTarif on top und da gibt es noch eine neue Fahrplanauskunft. Das schafft nicht die notwendige Einheitlichkeit, die ältere und wahrscheinlich auch jüngere Menschen brauchen, um sich im System ÖPNV zurecht zu finden.


Was muss der ÖPNV denn bieten, um für ältere Menschen attraktiv zu sein?


Manfred Stranz: Gegenfrage – was nutzt uns ein eTarif, wenn wir mit Koffern, Kinderwagen oder Rollstuhl vor einem defekten Aufzug stehen und unser Gleis nicht erreichen? Barrierefreiheit ist aber nicht nur räumlich wichtig. Wir brauchen einen einfachen und einheitlichen Zugang zum ÖPNV. Das 9-Euro-Ticket hat diese Einheitlichkeit für drei Monate realisiert und die Nutzung von Bussen und Bahnen ganz einfach gemacht. Wenn man das jetzt richtig angehen würde, dann könnte man die Autos von der Straße kriegen. Die drängende Verkehrswende ist ja nicht nur ein Gebot des Klimaschutzes. Sie ist auch eine Notwendigkeit im Hinblick auf eine sozial gerechte Mobilität für alle. Wer sich mit Mobilität im Alter beschäftigt, der liefert Antworten auf beide Fragen. Denn die notwendigen sozialen Erneuerungen für die alternde Gesellschaft sind auch ein ökologisches Modernisierungsprogramm.


Braucht Nordrhein-Westfalen also eine Offensive für einen seniorengerechten ÖPNV?


Manfred Stranz: Nordrhein-Westfalen braucht eine Offensive für einen fahrgastgerechten ÖPNV. Die Mobilität der Zukunft spricht alle Generationen an. Wir als Landesseniorenvertretung möchten an dieser Mobilität mitwirken. Vor der Corona-Pandemie hatten wir schon regelmäßige Jour fixes mit den Aufgabenträgern im SPNV, an die wir jetzt wieder anknüpfen. Wir wünschen uns aber, dass dieser Austausch zum einen intensiviert, zum anderen weiter ausgebaut wird. Wir fordern eine aktive Mitsprache und die Etablierung von Fahrgastbeiräten unter Einbeziehung von Seniorenvertreter/innen für den gesamten Nahverkehr auf Schiene und Straße.