Mehr Sichtbarkeit für die Berufschancen bei den Bahnen in NRW

Mehr Sichtbarkeit für die Berufschancen bei den Bahnen in NRW

Arbeitgeber

05. Februar 2021

5 Fragen an Sabrina Marquardt, Beauftragte für Chancengleichheit bei der Agentur für Arbeit in Essen

Eine Umschulung als Lokführer/in ist für Arbeitssuchende nicht unbedingt die erste Wahl. Das Potenzial an möglichen Quereinsteiger/innen ist allerdings viel größer, als gedacht. Davon ist Sabrina Marquardt, Beauftragte für Chancengleichheit bei der Agentur für Arbeit in Essen fest überzeugt. Ihr Appell: Traditionelle Berufsbilder und Klischees aufbrechen und noch mehr Sichtbarkeit für den Lokführer/innen-Beruf schaffen.


Die Bahnen in NRW werben intensiv um Quereinsteiger und Quereinsteigerinnen. Welche Chancen sehen Sie für Arbeitssuchende, die als Lokführer/in umschulen wollen?


Sabrina Marquardt: Die Umschulung als Lokführer/in sehe ich als große Chance für alle, die sich beruflich neu orientieren müssen und einen sicheren, krisenfesten Arbeitsplatz suchen. Die Bahnbranche verzeichnet ja schon seit einiger Zeit eine außerordentlich hohen Fachkräftemangel. Wer sich erfolgreich als Lokführer/in qualifiziert, bekommt also ganz sicher auch einen Job – und der ist im Gegensatz zu vielen anderen Mangelberufen, etwa in der Pflege, auch noch gut gezahlt. Darüber hinaus ist Lokführer/in ein Beruf mit hoher Verantwortung. Auch das ist wichtig für Menschen, die einen beruflichen Neustart wagen. Dabei gibt es für Quereinsteiger/innen keine Altersgrenzen. Damit ist die Umschulung als Lokführer/in beispielsweise auch für Frauen nach längeren Erziehungszeiten interessant. Das ist ganz im Sinne der Chancengleichheit.


Wichtig für Arbeitssuchende ist zudem die Frage der Finanzierung. Schließlich muss der Lebensunterhalt auch während der Umschulung gesichert sein. Da der Bedarf an Lokführer/innen hoch ist, kann die Qualifizierung grundsätzlich über einen Bildungsgutschein gefördert werden – wenn alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.


Die Agentur für Arbeit in Essen hat im vergangenen Jahr 30 Arbeitssuchende mit einem Bildungsgutschein bei ihrer Umschulung als Lokführer/in unterstützt. Könnten das in der aktuellen Situation nicht mehr sein?


Sabrina Marquardt: Unabhängig von der Coronakrise ist das Interesse an einer Umschulung als Lokführer/in in jüngster Zeit sicher gewachsen. Aber das Potenzial an möglichen Quereinsteiger/innen ist noch lange nicht ausgeschöpft. Denn selbst bei einer beruflichen Neuorientierung gehört Lok- beziehungsweise Triebfahrzeugführer/in nicht zu den Top Ten. Der Beruf steht bei Arbeitssuchenden zumeist gar nicht auf der Liste. Das gilt ganz besonders für Frauen, aber auch für Männer. Selbst bei jungen Menschen dominieren nach wie vor die klassischen Berufsbilder von Büro, Einzelhandel und Gewerbe die Berufswahl, die Jobsuche oder auch das Interesse an einer Umschulung. Die meisten Arbeitssuchenden wissen gar nicht um die Chancen, die ihnen eine Umschulung als Lokführer/in bietet.


Warum wissen Arbeitssuchende so wenig über die Chancen der Lokführer-Umschulung?


Sabrina Marquardt: Wie gerade gesagt, sind auch die Vorstellungen einer Umschulung durch traditionelle Berufsbilder geprägt. Darüber hinaus stößt insbesondere der Lokführer-Beruf auf viele Klischees. Dazu gehört beispielsweise der Wechselschichtdienst. Dabei gibt es heutzutage kaum noch einen Job mit Arbeitszeiten von neun Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags. Der Schichtdienst bei den Bahnen in NRW ist dagegen tarifvertraglich geregelt. Und für die meisten Frauen ist der Beruf der Lokführer/in immer noch ein reiner Männerberuf. Dabei gibt es gerade in der Bahnbranche inzwischen Teilzeitmodelle, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf erlauben. Veraltete Berufs- und geschlechtsspezifische Rollenbilder lassen sich aber nicht von heute auf morgen verändern. Das ist eine sehr langfristige Kommunikationsaufgabe.


Wie können potenzielle Interessenten dann überhaupt für den Lokführerberuf erreicht werden?


Sabrina Marquardt: Bei der Agentur für Arbeit setzen wir grundsätzlich auf eine gezielte Information und auf die persönliche Unterstützung unserer Kunden und Kundinnen. Dafür pflegen wir enge Kontakte zu den Unternehmen der Bahnbranche und natürlich auch zu Bildungsträgern, die Qualifizierungen für Lokführer/innen anbieten. Wir bereiten diese Informationen auf und vermitteln sie. Das passiert nicht nur in den persönlichen Beratungsgesprächen, sondern auch durch zielgruppenspezifische Aktionen. Beispielsweise schreiben wir alle drei Monate ganz gezielt arbeitssuchende Frauen und Männer an und stellen ihnen das Berufsbild sowie die Möglichkeiten einer Umschulung als Lokführer/in vor. Wir beteiligen uns an Informations- und Schnuppertagen oder führen diese gemeinsam mit Partnern aus der Bahnbranche durch. Und wir bieten interessierten Umschüler/innen die notwendige Unterstützung, zum Beispiel für den medizinisch-psychologischen Eignungstest, den viele als Hürde sehen. Er ist natürlich unumgänglich, da Lokführer/innen schon allein mit Blick auf die Sicherheit der Fahrgäste gesundheitlich belastbar sein müssen. Aber letztendlich ist auch dieser Test eine echte Chance. Er stellt sicher, dass Umschüler/innen nach Abschluss der Qualifizierung sofort als Lokführer/innen arbeiten können – ohne Wartezeiten und neue Bewerbungsverfahren. So können sie mit einem guten Gefühl und viel Motivation in die Umschulung starten.


Die Bahnen in NRW haben eine gemeinsame Arbeitgeberkampagne gestartet, um neue Zielgruppen für den Lokführer/innen-Beruf zu erschließen. Was können sie tun, um damit langfristig erfolgreich zu sein?


Sabrina Marquardt: Die Bahnen in NRW sind auf einem sehr guten Weg, gerade auch in der Ansprache von Frauen. Wichtig für uns als Agentur für Arbeit ist, dass es nicht bei einmaligen Aktionen bleibt. Die Werbung für den Lokführer-Beruf muss verstetigt und ausgebaut werden. Um es kurz zu sagen: Interessierte Zielgruppen sollten schon im Kindergartenalter angesprochen werden. Nur so lassen sich überholte Berufs- und Rollenbilder aufbrechen.