Mit dem 9-Euro-Ticket zur Mobilitätswende?

Eine Person hält ein Smartphone hoch, auf dem die Grafik zum 9-Euro-ticket sichtbar ist. Im Hintergrund ist verschwommen ein Bahnhof zu sehen.

Fahrgast

07. Juli 2022

Bundesweite Erhebungen zum 9-Euro-Ticket im ersten Aktionsmonat zeigen, dass das stark vergünstigte Angebot vor allem für Alltagsfahrten am Wohnort genutzt wurde und hilft, die Stausituation zu verbessern.


Im aktuellen Zielbildprozess geht Fokus Bahn NRW auch der Frage nach, inwieweit der Hebel an den Ticketpreisen – angesichts einer ohnehin kritischen Finanzierung von Betrieb und Leistung im öffentlichen Verkehr – ein sinnvoller Beitrag zur Mobilitätswende sein kann. Während die Marktforschung zum 9-Euro-Ticket im ersten Nutzungsmonat Verlagerungseffekte weg vom Auto erkennen lässt, fordert der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) eine über den 31. August hinaus sichere Finanzierung des bundesweiten ÖPNV-Angebots.


Rund 21 Millionen verkaufte 9-Euro-Tickets

Im Rahmen des Energie-Entlastungspakets hatte die Bundesregierung im Frühjahr 2022 kurzfristig das 9-Euro-Ticket initiiert. Über die drei Monate Juni, Juli und August soll es die gestiegenen Energie- und Spritpreise für die Bürger/innen kompensieren und zugleich ein Symbol für die notwendige Mobilitätswende setzen. Ob das 9-Euro-Ticket dieses Ziel erreicht, werden erst die nächsten zwei Monate zeigen. Dass das günstige Angebot gut angenommen wird, belegen sowohl die Verkaufszahlen als auch die Marktforschung im ersten Aktionsmonat. Bis Ende Juni wurden bundesweit bereits 21 Millionen 9-Euro-Tickets verkauft. Zusammen mit den etwa zehn Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, die das vergünstigte Nahverkehrsticket automatisch erhielten, waren im Juni 2022 also rund 31 Millionen Fahrgäste mit einem 9-Euro-Ticket unterwegs.


Weniger Staus auf den Straßen

Eine Analyse des Verkehrsdatenspezialisten Tomtom für die Nachrichtenagentur dpa legt bereits Verlagerungseffekte durch das 9-Euro-Ticket nahe. In 26 deutschen Städten untersuchten die Expertinnen und Experten die Staus im Berufsverkehr an Werktagen in den Kalenderwochen 20 und 25. Die Zeiträume wurden so gewählt, um Auswirkungen von Ferien und Feiertagen zu umgehen. Die Analyse sieht in 23 Städten einen Rückgang des Stauniveaus im Zusammenhang mit der Einführung des 9-Euro-Tickets.


Alltagsfahrten stehen im Vordergrund

Diese Einschätzung kann durch die bundesweite Marktforschung, die der VDV und die Deutsche Bahn gemeinsam im Auftrag von Bund und Ländern koordinieren, bestätigt werden. In 6.000 Interviews pro Woche gaben die Befragten an, das 9-Euro-Ticket vornehmlich für alltägliche Fahrten wie Arbeitswege, Arztbesuche, Shopping oder allgemeine Erledigungen zu nutzen. Auf die Frage „Wofür haben Sie Ihr 9-Euro-Ticket im Juni bereits genutzt bzw. wofür werden Sie es voraussichtlich in diesem Monat nutzen?“ antworteten 53 Prozent mit „alltägliche Fahrten“. 39 Prozent fuhren mit dem Ticket zur Arbeit, zur Ausbildungsstätte oder zur Schule, 33 Prozent nutzten es für Ausflugsfahrten, aber nur 14 Prozent für die Fahrt in den (Kurz)-Urlaub. In einer OpinionTrain2022-Sonderumfrage unter 3.800 repräsentativ gewichteten Personen am 7. und 8. Juni 2022 meinten sogar 63 Prozent der Befragten, dass sie das Ticket vornehmlich für Fahrten am Wohnort nutzen.


Mehr als 1 Milliarde Euro volkswirtschaftlicher Nutzen durch das 9-Euro-Ticket

Dabei weist „OpinionTrain2022“ dem 9-Euro-Ticket einen erheblichen Kundennutzen zu und ermittelt für die deutschen Verbraucher/innen bereits im ersten Aktionsmonat einen volkswirtschaftlichen Nutzen von mehr als 1 Milliarde Euro. „Die Studienergebnisse geben ein erstes – sicher kein abschließendes – Bild zur Wirkungsweise des 9-Euro-Tickets. Entgegen der medialen Berichterstattung, die zunächst vor allem Probleme bei der Nutzung des Tickets in den Vordergrund stellte, wird erkennbar, dass das Angebot auf eine hohe Wertschätzung bei der Kundschaft stößt. Der wahrgenommene Wert des Tickets ist nicht nur bei bestehenden Abo-Kundinnen und -Kunden hoch, sondern auch bei Personen, die das Ticket neu kaufen“, resümiert Johannes Hercher, Vorstand der Rogator AG und Co-Autor der Studie OpinionTRAIN. Kund/innen, die bereits über ein Ticket-Abo für den ÖPNV verfügten, profitierten von den deutlich reduzierten Mobilitätskosten. Neukund/innen ohne Abonnement konnten Fahrten vom Auto auf den Nahverkehr verlagern oder auch zusätzliche Fahrten unternehmen.


Zahlungsbereitschaft für ein ÖPNV-Ticket liegt bei 45 Euro im Monat

Der Markttest von OpinionTrain basierte auf der Schätzung individueller Zahlungsbereitschaften für ein bundesweit gültiges ÖPNV-Ticket. 64 Prozent der Befragten gaben an, dass sie das Ticket auch zu einem höheren Preis erwerben würden. Dieser lag im Mittel bei circa 45 Euro im Monat. Dabei wollten Ticketnutzer/innen ohne Abonnement mit durchschnittlich 36 Euro im Monat weniger ausgeben als Stammkund*innen im ÖPNV. Laut OpinionTrain sprach der niedrige Preis des 9-Euro-Tickets insbesondere Personengruppen an, die wegen spezifischer Wohnortlagen sowie niedriger Haushaltseinkommen keine Affinität zum ÖPNV haben. Hier ließen sich im Juni 2022 die stärksten Verlagerungseffekte bei der Verkehrsmittelwahl ermitteln.


„In der Marktforschung zeigt sich, dass die Mehrheit unserer Kundinnen und Kunden das 9-Euro-Ticket nicht für Ausflugs- oder Urlaubsfahrten nutzt, sondern im Alltag. Damit tritt bei diesen Fahrgästen auch die von der Bundesregierung erhoffte Entlastungswirkung bei den alltäglichen Mobilitätskosten ein. Gleichzeitig muss allen Beteiligten klar sein, dass die Branche über den 31. August hinaus Finanzierungssicherheit braucht. Denn die Kosten der Verkehrsunternehmen explodieren durch die steigenden Strom- und Dieselpreise. Wenn hier keine Lösungen gefunden werden, dann reden wir entweder über notwendige deutliche Preissteigerungen oder über Angebotseinschränkungen im ÖPNV“, kommentiert VDV-Präsident Ingo Wortmann die Ergebnisse.