Mit Zivilcourage bei der EURO 2024 im Einsatz
Sicherheit
16. Mai 2024
450 Volunteers werden die Nahverkehrsunternehmen in NRW während der Fußball-Europameisterschaft der Herren unterstützen.
Mit rund 1.000 Kursen und 15.000 geschulten Personen in 13 Jahren hat die muTiger-Stiftung in NRW bereits vielen Menschen gezeigt, wie Zivilcourage im beruflichen oder ehrenamtlichen Alltag funktioniert. Zurzeit bereiten die erfahrenen Trainer/innen zahlreiche freiwillige Helfer/innen auf ihren Einsatz bei der EURO 2024 vor, die Schulungen setzen einen besonderen Fokus auf die Herausforderungen einer internationalen Großveranstaltung, bei der viele verschiedene Menschen aufeinandertreffen. Welche Inhalte vermittelt und welche Situationen trainiert werden, erklärt Ernst Nieland, Master-Trainer der muTiger-Stiftung, in unserem Interview.
Was wir dazu beitragen können, dass die EURO 2024 eine schöne Veranstaltung wird, das tun wir.
Ernst Nieland
Master-Trainer bei der muTiger-Stiftung
Herr Nieland, wieso braucht es eigentlich die muTiger-Trainings?
Ernst Nieland: Wir fragen unsere Kursteilnehmenden immer, wieso sie in schwierigen Situationen nicht helfen – und wir bekommen immer die gleiche Antwort: Sie haben Angst davor, selbst Opfer zu werden. Diese Angst ist nicht unberechtigt. Es kann durchaus passieren, dass sich Täter/innen gegen die helfende Person wenden. Menschen müssen wissen, wie sie Situationen richtig einschätzen können und wie sie bei welchen Begebenheiten richtig helfen. Dieses Wissen vermitteln wir und das erlangte Know-how nimmt unseren Kursteilnehmenden die Angst vor dem Eingreifen.
Eine große Rolle spielt demnach die Wissensvermittlung. Wie gut sprechen die Kursteilnehmer/innen darauf an?
Ernst Nieland: Natürlich schaffen wir es nicht, Menschen in vier Stunden komplett zu verändern. Aber wir geben Denkanstöße. Wir arbeiten mit Live-Szenarien, in denen echte Situationen nachgestellt werden und lassen die Teilnehmenden eigenständig Handlungsempfehlungen erarbeiten. Sie können sich dann selbst ausprobieren und testen, welche Aktionen die gewünschten Reaktionen hervorrufen. Die Trainer/innen begleiten den Prozess und geben Hilfestellungen, wie man möglicherweise noch besser agieren könnte. Durch das Ausprobieren und Erleben der Situation bleibt das Erlernte besser im Gedächtnis und die Scheu vor dem Eingreifen im Alltag wird reduziert.
Gibt es eine Art Leitfaden für schwierige Situationen?
Ernst Nieland: Was uns ganz wichtig ist, und das möchte ich hier noch einmal betonen: Wir gehen niemals in eine Situation, wenn wir Waffen oder eine größere Anzahl an Tätern sehen und die Lage unübersichtlich ist. Dafür ist dann die Polizei zuständig. Ansonsten gilt bei uns die Drei-L-Regel: Licht, Lärm und Leute. Mit Licht und Lärm kann man auf sich oder auf das Geschehen aufmerksam machen; es ist immer ratsam, andere Leute mit einzubeziehen. Man muss sich einer schwierigen Situation nicht allein stellen, sondern kann Andere gezielt um Mithilfe bitten. Außerdem sprechen wir niemals den Täter oder die Täterin an. Wir wenden uns immer ausschließlich an das Opfer und versuchen, dieses aus der Situation herauszuholen.
Die eigene Unversehrtheit ist wichtig, nur dann kann ich auch anderen helfen.
Ernst Nieland
Master-Trainer bei der muTiger-Stiftung
Gibt es im öffentlichen Nahverkehr, insbesondere auch in Zügen, Besonderheiten, die zu beachten sind?
Ernst Nieland: Das zuvor Gesagte gilt selbstverständlich auch im Nahverkehr auf der Schiene. Allerdings treffen in einem Zug unterschiedliche Menschen auf engstem Raum aufeinander, sich gegenseitig auszuweichen, ist schwieriger als zum Beispiel in einer Fußgängerzone. Das Gute ist aber, dass man dort nie allein ist und immer um Hilfe bitten kann: Neben der Notbremse befindet sich ein Alarmknopf, der eine Sprechverbindung mit dem Fahrpersonal herstellt. Die Mitarbeitenden im SPNV sind wiederum geschult und wissen, was zu tun ist. Außerdem ist es immer von Vorteil, wenn man sich seiner Position bewusst ist: Sollte ich selbst die Polizei rufen müssen, brauche ich diese: die Zug-Linie, die Fahrtrichtung und die nächste Haltestelle.
Erwarten Sie zur EURO2024 möglicherweise mehr gefährliche Situationen im Nahverkehr?
Ernst Nieland: Nein, die Fußballbegeisterten, die zur Europameisterschaft anreisen, möchten das Event friedlich erleben und das Land sowie die Städte kennenlernen. Zur WM 2006 war ich noch selbst im Einsatz und ich habe nie eine schönere Veranstaltung erlebt. Den Gästen wird es wichtig sein, dass die SPNV-Verbindungen zuverlässig sind und dass sie Hilfe finden, wenn sie diese brauchen – und da setzen unsere Volunteers an.
Was werden die Volunteers zur EURO 2024 genau tun?
Ernst Nieland: Die Volunteers der EURO 2024 sind sozusagen lebende Litfaßsäulen. Durch ihr grünes Outfit fallen sie direkt auf und sind als helfende Personen zu erkennen. Neben den Gefahrensituationen, die seltener vorkommen als man denkt, werden sie vor allem helfen, wenn jemand orientierungs- oder hilflos ist oder einfach wissen möchte, wo es genau zum Stadion oder zum Public Viewing geht. Die freiwillig Engagierten sind mit sehr viel Enthusiasmus dabei und wissen, worauf sie sich einlassen und wie sie mit den Situationen umzugehen haben.
Sie sind von Anfang an bei der muTiger-Stiftung, haben sogar das Konzept mitentwickelt. Wie kam es dazu?
Ernst Nieland: Das geschah aus aktuellem Anlass: Mitarbeitende im öffentlichen Nahverkehr sahen sich damals wie heute vermehrt vor Auseinandersetzungen mit unzufriedenen Fahrgästen gestellt. Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und der Sicherheitsdienst Kötter Services baten mich, aufgrund meiner beruflichen Erfahrung im Bereich Sicherheit und Ordnungspartnerschaft, in Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsfachleuten und der Polizei einen Weg zu finden, um die Kolleg/innen zu unterstützen – und zwar nicht körperlich, sondern moralisch. Die Mitarbeitenden sollten mit ihren Sorgen nicht allein gelassen werden. So entstand 2011 die Idee für unsere Zivilcourage-Schulungen und seit 2012 finden die muTiger-Trainings mit großem Erfolg statt. Ich bin mir sicher, dass die Volunteers auch zur EURO 2024 eine große Hilfe sein werden und wir aus dieser Großveranstaltung für kommende Events wieder Neues lernen können. Das wird eine tolle Zeit, ich freue mich schon drauf!
Ernst Nieland
Ernst Nieland ist seit Tag eins bei der muTiger-Stiftung an Bord und hat zusammen mit anderen Sicherheitsfachleuten und der Polizei sowohl die Konzeptentwicklung als auch die -durchführung der Zivilcourage-Trainings unterstützt. Früher bei der BOGESTRA für Sicherheit und Ordnungspartnerschaften verantwortlich, konzentriert er sich heute vollkommen auf seine Aufgabe als Master-Trainer. Dazu zählt vor allem die Akquirierung, Ausbildung und das Anleiten neuer Trainer/innen – er lässt es sich aber auch nicht nehmen, ab und an bei einer Schulung selbst dabei zu sein.
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