Vom 9-Euro-Ticket zu einem guten Klima für Mobilität
Klima
25. Oktober 2022
Die enorme Resonanz auf das 9-Euro-Ticket zeigt, dass die Menschen einen günstigen und einfach zugänglichen öffentlichen Verkehr fordern. Für einen langfristigen Fahrgastzuwachs muss aber auch in die Attraktivität des Angebots investiert werden. Auf Einladung der Landesinitiative Fokus Bahn NRW tauschten sich NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer und weitere Akteur*innen im Beisein von Landtagsabgeordneten über den Handlungsbedarf und die mögliche Finanzierung aus.
Das bereits vorhandene große Engagement zur Verbesserung des Schienenpersonennahverkehrs unterstrich eingangs eine Gesprächsrunde zu Fokus Bahn NRW. „Als bevölkerungsreichstes Bundesland verfügt Nordrhein-Westfalen über eine außergewöhnlich breite SPNV-Landschaft mit starken Partnern. Im Landesprogramm Fokus Bahn NRW bündeln wir die Kräfte, um ein zukunftsfähiges und gesichertes Mobilitätsangebot zu schaffen. Wir sind Teil der Verkehrswende und möchten sie mitgestalten“, erläuterte Karin Paulsmeyer als Stabsstellenleiterin Fokus Bahn im NRW-Verkehrsministerium. Die 2019 gestartete Zusammenarbeit trägt Früchte, wie Joachim Künzel, Geschäftsführer Nahverkehr Westfalen-Lippe und Programmleiter Fokus Bahn NRW, herausstellte: „Wir haben Vertrauen aufgebaut und eine ganz neue Kultur der Zusammenarbeit gefunden, die uns durch Corona und Betreiberwechsel gebracht hat.“ Das gute Miteinander habe auch geholfen, die mit dem 9-Euro-Ticket verbundenen Herausforderungen zu schultern, so Marcel Winter, Geschäftsführer National Express und ebenfalls Programmleiter Fokus Bahn NRW: „Wir haben trotz aller vorhandenen Schwachstellen im System gezeigt, dass der Nahverkehr etwas kann und daran arbeitet, um zukunftsfähig zu sein.“
Die Menschen wollen Flatrate für den öffentlichen Verkehr
Die Erkenntnisse der bundesweiten Marktforschung zum 9-Euro-Ticket stellte Oliver Wolff vor. Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) konstatierte: „Es gibt einen echten Bedarf für eine Flatrate im öffentlichen Verkehr, das hat die Marktforschung ohne Wenn und Aber zu Tage gefördert.“ Zugleich machte er deutlich, dass eine mögliche Nachfolgelösung der Komplexität der Einnahmenaufteilung Rechnung tragen muss. Mit Blick auf die notwendige Absicherung des Leistungsangebots trotz steigender Energie- und Personalkosten plädierte der VDV-Hauptgeschäftsführer darüber hinaus für eine Fortführung des ÖPNV-Rettungsschirms.
Für das Erreichen der Klimaschutzziele muss der Nutzeranteil für die Verkehrsträger des Umweltverbundes steigen. Was es kostet, die Angebotsoffensive der Branche auch Wirklichkeit werden zu lassen, hat Roland Berger im Auftrag des VDV im Herbst 2021 in einem Leistungskostengutachten errechnet. Angesichts der schwierigen Finanzlage sind Modernisierung und Ausbau momentan aber kaum zu stemmen, wie Alexander Möller, Senior Advisor Roland Berger, konstatierte: „Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Taktung und Angebot müssen konsequent an den Bedürfnissen der Fahrgäste ausgerichtet werden. Die Mobilitätsangebote müssen integriert gedacht und über digitale Lösungen besser miteinander verknüpft werden. Zudem braucht es gemeinsame Qualitätsstandards, auch bei den Fahrzeugen. Dazu sind deutlich mehr finanzielle Mittel notwendig.“
Das 9-Euro-Ticket als Chance
Trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen mahnte NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer in einer abschließenden Diskussionsrunde, das 9-Euro-Ticket als Chance zu sehen: „99 Prozent der Deutschen kennen das 9-Euro-Ticket und 80 Prozent waren damit zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Das ist eine Chance, die wir lange nicht hatten, und am Ende genau das, was die Verkehrswende ausmacht. Wir brauchen nun eine Finanzierungsverstärkung über alle staatlichen Ebenen hinweg, um das Angebot zu erhalten und möglichst weiter auszubauen. Der ÖPNV ist Teil der Lösung und nicht Teil des Problems.“
Der Verkehrsausschussvorsitzende Matthias Goeken plädierte dafür, auch den ländlichen Raum im Blick zu behalten: „Um die Verkehrswende zu stemmen, brauchen wir auch im ländlichen Raum ein öffentliches Mobilitätsangebot. Viele Regionen waren vom 9-Euro-Ticket weitgehend abgehängt.“ Dennoch müssen mit Blick auf die schwierige finanzielle Situation der Kommunen und Verkehrsunternehmen Prioritäten gesetzt werden, stellte Ulrich Jaeger, Geschäftsführer WSW mobil und Landesgruppenvorsitzender des VDV NRW, klar: „Es macht aktuell keinen Sinn, die knappen Mittel mit der Gießkanne zu verteilen. Wir müssen Prioritäten setzen und die Gelder dort investieren, wo sie den höchsten verkehrlichen Nutzen bringen.“
Einig waren sich die Beteiligten darüber hinaus, dass Abbestellungen von Verkehrsleistungen unbedingt vermieden werden sollten. Dazu sind aber schnelle Finanzspritzen notwendig, wie Joachim Künzel herausstellte: „Wir wissen, wohin wir wollen, und tun alles, um auf die Verkehrswende hinzuarbeiten. Momentan gibt es aber nicht mal ausreichend Geld, um den Bestand zu finanzieren. Wenn nicht relativ bald klar ist, dass erkennbar mehr Mittel bereitgestellt werden, wird es Abbestellszenarien geben.“