Wettbewerb im SPNV ist ein Erfolgsfaktor

Gleise und Weichen

Programm

25. März 2022

Im Gespräch mit Bernhard Wewers, Berater bei RLC Partner

Die Akteur/innen von Fokus Bahn NRW haben es sich zum Ziel gesetzt, die Mobilitätswende in NRW aktiv mitzugestalten:  Dafür erarbeiten die Partner/innen in gemeinsamen Themenworkshops das Zielbild SPNV 2030. Der erste Workshop konnte mit Bernhard Wewers einen der prominentesten Gestalter des SPNV-Wettbewerbs als Referenten gewinnen. Wewers Wettbewerbsstrategie definiert ein klares Ziel: bestmögliche Lösungen im Sinne der Fahrgäste.


Bernhard Wewers blickt auf rund 30 Jahre Wettbewerbserfahrung im bundesweiten SPNV zurück. 1994 gehörte er zu den Gründern der Regiobahn, der ersten NE-Bahn im Nahverkehr Nordrhein-Westfalens. Als Geschäftsführer beim Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein von 1995 bis 2020 war er u.a. Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger im SPNV (BAG SPNV, heute Bundesverband SchienenNahverkehr), Mitglied im Netzbeirat der DB und Hochschuldozent. Heute engagiert er sich im Bereich Recruiting, Logistik und Consulting bei RLC Partner. Gegenüber Fokus Bahn NRW erklärt er, warum der Wettbewerb im SPNV kein Selbstzweck sein darf.


Der SPNV-Wettbewerb gilt ungeachtet aller Krisen als Erfolgsmodell. Sie haben die Entwicklung von seinen Kindertagen an mit begleitet: Wie haben Sie Erfolge und Meilensteine, Krisen und Widerstände erlebt? Was hat Spaß gemacht und woran denken Sie weniger gerne zurück?


Bernhard Wewers: Spaß ist der falsche Begriff, aber es war immer spannend, den Wettbewerb mitgestalten zu können. Seit 1994 mit der Ausschreibung der Regiobahn Kaarst-Mettmann gab es viele Erfolge. Wettbewerb bringt eine neue Qualität für die Kund/innen, moderne Fahrzeuge, günstige Preise für die Länder. Das wiederum ermöglicht mehr Investitionen in Bahn und Bus. Die bundesweite Ausweitung des Angebotes von 500 auf über 700 Millionen Zugkilometer im Jahr konnte durch Wettbewerbseffekte finanziert werden. Der SPNV in Deutschland ist heute deutlich moderner und attraktiver. Wer erinnert sich noch an die Silberlinge?


Mit der Liberalisierung von Märkten verbindet sich ja sowohl der Wunsch nach Kostensenkung, als auch nach mehr unternehmerischen Impulsen für mehr Qualität. Welche Ziele wurden erreicht und wo sollte nachgebessert werden?


Bernhard Wewers: Der SPNV-Markt ist nicht vollständig liberalisiert, sondern in einem Vergaberegime der Aufgabenträger für Unternehmen geöffnet worden. Mehr Qualität und geringe Zuschüsse waren die Überschriften. Eine der Kernfragen war: Wem gehören die Fahrgäste und wer kümmert sich am besten um sie? Die Unternehmen oder die Aufgabenträger? Natürlich haben die Aufgabenträger das anfangs für sich beansprucht. Die Unternehmen haben defensiv reagiert und den Aufgabenträgern die Initiative gerne überlassen: neue Fahrzeuge, mehr Angebot, Verträge mit mehr Personal und Service, neue Kommunikation. Nur das Marketing haben die Unternehmen nicht abgeben wollen. Heute sind Impulse von beiden Seiten in der Waage.


Portrait von Bernhard Wewers, Berater bei RLC Partner Quote

Dringend für den SPNV sind eine deutlich bessere Infrastruktur, höhere Finanzmittel für den Ausbau des Angebotes, Innovationen, Dekarbonisierung – und viele Wettbewerber.

Bernhard Wewers

Berater bei RLC Partner

Europäische Länder wie Großbritannien und Schweden sind bei der Liberalisierung der Schiene andere Wege gegangen als Deutschland. Können wir vom Ausland lernen?


Bernhard Wewers: Natürlich. Beide Länder haben konsequent Netz und Betrieb getrennt. Großbritannien hat alles – auch die Infrastruktur – privatisiert und später teilweise wieder verstaatlicht. Die Kritik daran ist richtig, allerdings wird gerne übersehen, dass Qualität und Nachfrage in Großbritannien deutlich gestiegen sind.


Der Fachkräftemangel, die Rückgewinnung von Fahrgästen nach Corona, die Ziele der Mobilitätswende: Die aktuellen Herausforderungen für die zukunftsfähige Gestaltung des SPNV sind groß. Welche Anforderungen stellen sich damit an die Wettbewerbsgestaltung?


Bernhard Wewers: Wettbewerb ist kein Selbstzweck. Die Fahrgäste erwarten ein einfaches und funktionierendes System. Ihnen dürfte relativ egal sein, wie ausgeschrieben wird und wer welches Risiko trägt. Und vielleicht ist ihnen auch egal, welches Unternehmen fährt. Dringend für den SPNV sind eine deutlich bessere Infrastruktur, höhere Finanzmittel für den Ausbau des Angebotes, Innovationen, Dekarbonisierung – und viele Wettbewerber.


Ein Baustein für die zukünftige Wettbewerbsgestaltung sind die Verkehrsverträge. Der ideale Verkehrsvertrag sähe aus meiner Sicht so aus:


  • Die Verkehrsunternehmen müssen Geld verdienen. Und die Verträge sollten finanzielle Anreize für die Unternehmen bieten.
  • Der Preiswettbewerb sollte durch einen Qualitäts- und Preiswettbewerb abgelöst werden, gerne auch durch einen Innovationswettbewerb.
  • Qualität im Betrieb braucht Qualität in der Infrastruktur der DB Netze. Die Vorgaben für Pünktlichkeit müssen sich an dem orientieren, was das Verkehrsunternehmen verantworten kann.
  • Die Vergabeverfahren sind offener, dialogorientierter zu gestalten. Höhere Fahrzeug-, Personal- und Werkstattreserven sind zu berücksichtigen.
  • Flexiblere, „atmende“ Verträge helfen, die Entwicklungen während der langen Vorbereitungs- und Laufzeiten – u.a. hinsichtlich Personalbedarf, Baustellen und Verkehrsnachfrage – aufzufangen. Korridore für Nachverhandlungen sind präzise zu definieren.


Gemeinsam bestmögliche Lösungen im Sinne der Fahrgäste zu entwickeln, ist das zentrale Commitment der Gemeinschaftsinitiative Fokus Bahn NRW. Welchen Rat geben Sie uns mit auf den Weg?


Bernhard Wewers: Eisenbahnverkehrsunternehmen und Aufgabenträger haben in NRW gemeinsam viel erreicht und eine große Krise gemeistert. Sie sollten den Wettbewerb im Dialog weiterentwickeln und dabei auch die Gewerkschaften, Fahrgäste, Infrastrukturunternehmen u.a. mitnehmen – und so dann gerne auch die bundesweite Diskussion anschieben. Bei allen neuen Wettbewerbsstrategien und -konzepten sollte also eines klar bleiben: Es muss der bestmögliche SPNV entstehen, sonst wenden sich die Fahrgäste wieder ab oder kommen nach der Pandemie einfach nicht zurück.