Fokus Bahn im Gespräch mit Lothar Ebbers, Pro Bahn NRW
Programm
02. Juli 2024
„Die Mobilität auf der Schiene braucht in vielerlei Hinsicht mehr Gemeinwirtschaftlichkeit.“
Die angespannte Betriebssituation auf der Schiene beschreibt Lothar Ebbers, Referent für Landespolitik und Pressesprecher des Fahrtgastverbands Pro Bahn NRW, mit deutlichen Worten: „Das halten nur Hartgesottene aus. Mit diesem Angebot kann man keine Kund/innen binden, geschweige denn Neukund/innen gewinnen“. Der Diplom-Geograph gehört zu den Hartgesottenen. Seit 25 Jahren engagiert er sich ehrenamtlich für Pro Bahn NRW und vertritt den Fahrgastverband u.a. im Ausschuss für Verkehr und Planung des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr. Im Interview mit Fokus Bahn NRW beschreibt er die Herausforderungen der Mobilitätswende und blickt dabei gerne auch auf das Vorbild der niederländischen Nachbarn.
Engpässe in der Schieneninfrastruktur sowie der Personalmangel bei den Lokführer/innen bringen für Fahrgäste und Mitarbeitende im SPNV NRW tagtäglich große Belastungen mit sich. Wie beurteilen Sie die Lage?
Lothar Ebbers: So desolat wie heute war das Angebot im SPNV zuletzt vielleicht in den 1980er-Jahren. Bei fünf Fahrten habe ich auf mindestens dreien Probleme, mal fällt ein Zug wegen Personalmangel aus, mal gibt es eine Streckenstörung und manchmal fehlt selbst auf zuginfo.nrw jede Erklärung für die erneute Verspätung und den dadurch verpassten Anschluss. Die rechtzeitige Fahrgastinformation ist nach wie vor unzureichend. Berufspendler/innen müssten doch eigentlich abends wissen, wie sie morgens zur Arbeit fahren, und spätestens mittags, wie sie wieder nach Hause kommen.
Zu den vielen geplanten Bauvorhaben summieren sich unvorhersehbare, leider notwendige Baustellen in kleinerem oder größerem Umfang. Ein Beispiel dafür ist der Hangrutsch bei Hösel auf der wichtigen S-Bahn-Verbindung zwischen Essen und Düsseldorf. Pendler/innen müssen jetzt mindestens zwei Jahre warten, bis die Strecke wieder befahrbar ist. Insgesamt bringt die Größenordnung der Unwägbarkeiten im SPNV die Fahrgäste zum Verzweifeln.
Was kann man dagegen tun? Sind die gegenwärtigen Leistungskürzungen im SPNV NRW eine Lösung?
Lothar Ebbers: Leistungskürzungen im SPNV können nur dann eine Lösung sein, wenn die verbleibenden Fahrten absolut verlässlich sind. Ich bin sehr gerne in den Niederlanden unterwegs und weiß, dass ein Sparfahrplan aufgrund von Personalmangel sehr gut funktionieren kann – wenn er denn gut geplant ist. Die Nederlandse Spoorwegen haben wegen Personalmangel die Verbindungen pro Stunde ab 2022 reduziert, fuhren dann aber teilweise mit längeren Zügen und schafften damit vergleichbare Kapazitäten. Jetzt wird der Fahrplan schrittweise wieder hochgefahren. Die Fahrgäste dort können sich darauf verlassen, dass die Linien weiterhin gut getaktet sind, Wegeketten funktionieren und wichtige Anschlüsse erreichbar sind. Dasselbe gilt auch bei Baumaßnahmen, wenn ganze Linien ausfallen müssen. In den Niederlanden gibt es dann Schienenersatzverkehre mit Bussen teilweise im 5- oder 10-Minuten-Takt.
Bei uns dagegen gilt gefühlt das Zufallsprinzip, Not- oder Ersatzfahrpläne sind leider nicht zuverlässig – egal ob Linien wegen Personalmangel oder wegen Baustellen ausfallen. Anbindungen an andere Nahverkehrsmittel oder auch Fernverkehrslinien scheinen bei den Planungen nicht berücksichtigt zu sein. Zum Beispiel in Detmold, wo die wichtige Zugverbindung des RE 82 bis auf einzelne Fahrten eingestellt wurde. Die Regionalbahn und Ersatzverkehre mit Bussen können diese Streichung nicht wettmachen. Dem Fahrgast bereitet es Stress und Frust, bei ohnehin schon längeren Fahr- und Umsteigezeiten nicht zu wissen, ob die Reise überhaupt wie geplant klappt.
In den Niederlanden werden Verbraucherschutz- und Fahrgastverbände bei allen Fahrplan- und Tarifmaßnahmen nicht nur angehört, sondern aktiv eingebunden. Das könnte auch bei uns zu besseren Lösungen führen.
Lothar Ebbers
Pressesprecher Pro Bahn NRW
Die Deutsche Bahn hat unlängst ihre Infrastrukturaktivitäten in die Gesellschaft InfraGo überführt. Wie beurteilen Sie die Steuerung der Gesellschaft nach Gemeinnützigkeitskriterien?
Lothar Ebbers: Die Mobilität auf der Schiene braucht in vielerlei Hinsicht mehr Gemeinwirtschaftlichkeit, ich halte sie für absolut notwendig. Aber meine Erwartungen an die InfraGo haben bereits einen ersten Dämpfer erhalten, nachdem diese als AG gegründet wurde. Ich finde, dass der Bund deutlich mehr Vorgaben für sein Netz machen muss – und hatte mir da mehr erhofft. Ich nehme mal die Trassenpreise zum Beispiel. Es gibt inzwischen drei Trassenpreissysteme: für den Güter-, den Fern- und den Nahverkehr. Das hat mit Kostenwahrheit überhaupt nichts mehr zu tun, sondern nur mit der Frage, wie man die Finanzierung für das Netz zusammenkriegt. Der Nahverkehr finanziert den Löwenanteil und da brauchen wir eine kostengerechtere Lösung, damit mehr Angebote im Nahverkehr möglich werden. Die jetzigen Trassenpreise für einen einzigen, zusätzlich gefahrenen Zug in Tagesrandzeiten sind abschreckend hoch.
Ein weiterer Punkt, bei dem ich mir mehr Gemeinwirtschaftlichkeit bzw. eine gemeinwirtschaftliche Betrachtung von Kosten wünsche, sind die Baumaßnahmen im Netz. Da gibt es immer noch die Vorgabe des Bundes, dass diese so billig wie möglich sein müssen – billig nach rein betriebswirtschaftlicher Rechnung des Netzbetreibers. Berücksichtigt werden dabei nicht die gesamtwirtschaftlichen Folgen oder die Kostenrechnung anderer Beteiligter. Welche Mehrkosten fallen für Eisenbahnverkehrsunternehmen und Verlader an, welche Zeitverluste bei Kund/innen, welche Umweltkosten für den Ersatz eines elektrischen Zuges durch mehrere Dieselbusse? Würden diese Kosten berücksichtigt, käme man vielleicht zu der Strategie, dass deutlich kompakter gebaut würde. Die gemeinwirtschaftliche Berechnung von Baumaßnahmen ist für mich auch insofern wichtig, weil ja das Netz für die Ausbaumaßnahmen im Rahmen der standardisierten Bewertung seine positiven Umweltauswirkungen kalkulatorisch berechnet und deshalb seine Bezuschussung bekommt.
Ich schaue immer wieder gerne in die Niederlande, wo eine Strecke in einzelnen Sperrpausen 9 oder 16 Tage für Baumaßnahmen gesperrt ist und die neue Infrastruktur schon bald nutzbar ist und so bessere Fahrpläne ermöglicht. Das ist wirtschaftlich – und das fehlt mir in Deutschland. Ein bestes Beispiel bietet die Fortführung der Betuwe-Linie Oberhausen - Emmerich. Hier finde ich für die nächsten Jahre verschiedene Vollsperrungen über zwölf bis 16 Wochen im Jahr, aber als Fahrgast bemerke ich kaum eine Verbesserung. Die Strecke ist seit über sieben Jahren im Bau, von der neu gebauten Schieneninfrastruktur ist noch fast nichts nutzbar. Die gesamtwirtschaftliche Rechnung geht hier nicht auf.
Eine Rechnung, die zumindest aus Fahrgastsicht aufgeht, ist das Deutschlandticket als Flatrate für Abonnent/innen. Im NRW-Nahverkehr gibt es zudem den eTarif eezy.nrw für Gelegenheitskund/innen. Wie sehen Sie die Chancen, ÖPNV-Tarife weiter zu verschlanken und so das Bus- und Bahnfahren attraktiver zu machen?
Lothar Ebbers: Das Deutschlandticket wird seine Wirkung wohl erst zeigen, wenn die Finanzierung über den Pilotzeitraum von zwei Jahren hinaus gesichert ist. Erst dann können Bundesländer und Verkehrsverbünde eine echte Tarifreform angehen. Denn bislang richten sich die Ausgleichszahlungen durch den Bund nach den weiter bestehenden und fortgeschriebenen alten Tarifen und Ticketpreisen. Für das Deutschlandticket brauchen wir eine langfristig darstellbare, kostengerechte Lösung – für die Fahrgäste, die es nutzen, und für die Verkehrsunternehmen, die ein attraktives Angebot zu finanzieren haben.
Das gilt auch für die Weiterentwicklung des eTarifs eezy.nrw, der bislang ein Vollkaskotarif ist. Fahrten mit dem eTarif werden nicht teurer als mit dem Deutschlandticket. Fahren die Kund/innen weniger, zahlen sie weniger. Das ist attraktiv für die Kund/innen. Aber kann sich das rechnen?
Ich finde, dass man die Tarife strukturell neu aufstellen muss. Wer mit dem Deutschlandticket günstig fahren will, sollte sich auf ein Abonnement über zwölf Monate einlassen – damit die Verkehrsunternehmen mit den Einnahmen fest rechnen können. Ansonsten sollten entsprechend teurere Monatstickets angeboten werden. Daneben brauchen wir einfache, kostengerechte Ticketlösungen für Gelegenheitskund/innen, beispielsweise durch einen eTarif wie eezy.nrw. Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass der ÖPNV in NRW weiterhin ein gutes Ticketsortiment im Bartarif bieten muss. Denn nicht jeder Fahrgast will sein eigenes Smartphone als technische Infrastruktur für den ÖPNV bereitstellen, trägt er dann doch bei einer Ticketkontrolle das Risiko für dessen Funktionsfähigkeit. Auch hier haben die Niederländer mit der OV-Chipkarte eine andere Lösung gefunden, die dafür notwendige elektronische Infrastruktur wurde über den Verkauf derselben finanziert.
Bei Fokus Bahn NRW arbeiten die Nahverkehrsbahnen im Sinne der Fahrgäste und des Systems Schiene eng zusammen, auch wenn sie in Ausschreibungsphasen als Wettbewerber gegeneinander antreten. Wie finden Sie das Modell und wo sehen Sie die zentralen Herausforderungen für uns?
Lothar Ebbers: Ich finde das Modell von Fokus Bahn NRW sehr gut und ich empfehle, die Zusammenarbeit auf andere Bundesländer und andere Bereiche des Schienennetzes auszuweiten. Dass die Regiobahn zum Beispiel ihre Lokführer/innen, die sie auf der Linie RE 47 derzeit nicht einsetzen können, an National Express verleihen, um personalbedingte Engpässe auf der RE 11 zu verhindern, ist ein echter Erfolg für die Branche.
Sorgen mache ich mir dagegen um die Zukunft des Wettbewerbs. Der marode Zustand unseres Schienennetzes ist nicht nur für die Fahrgäste und Mitarbeitenden im SPNV ein Belastungsfaktor, sondern auch für den Wettbewerb. Deshalb ziehen sich europäische Staatsbahnunternehmen aus dem deutschen SPNV-Markt zurück. Immerhin ist die Übernahme der WestfalenBahn durch die Beteiligungsgesellschaft BeNEX ein Hoffnungsschimmer.
Fokus Bahn Interviews
In einer neuen Interviewreihe mit Expert/innen aus Politik und Gesellschaft erörtert Fokus Bahn NRW aktuelle Fragen zur Entwicklung der öffentlichen Mobilität. Lothar Ebbers ist der vierte Gesprächspartner. Er folgt auf Christof Rasche (FDP NRW),
Ina Besche-Krastl (DIE GRÜNEN NRW) und Carsten Löcker (SPD NRW).