Qualitätsbericht zeigt Wege zu mehr Stabilität im SPNV NRW auf

Panoramaaufnahme mehrerer Nahverkehrszüge verschiedener Eisenbahnverkehrsunternehmen an einem Bahnhof

Fahrgast

18. Juni 2025

„Qualitätssteigernde Maßnahmen müssen derzeit Priorität haben“

Der Qualitätsbericht SPNV NRW für 2024 liegt vor. Trotz einer weiterhin angespannten Betriebslage besteht Hoffnung auf eine Trendumkehr. Kai Schulte, Leiter des Kompetenzcenters Integraler Taktfahrplan NRW, beschreibt im Interview die Entwicklung.


Mit dem Qualitätsbericht SPNV NRW 2024 dokumentiert das Kompetenzcenter Integraler Taktfahrplan NRW (KC ITF) bereits zum 14. Mal die Betriebslage im landesweiten Nahverkehr auf der Schiene. Er zeigt neben dem Infrastrukturzustand insbesondere auf, wie sich die Qualitätsmarker Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit von Regionalexpress-, Regionalbahn- und S-Bahnlinien in Nordrhein-Westfalen entwickelt haben und wo Handlungsbedarfe bestehen. KC ITF-Leiter Kai Schulte erläutert die Qualitätskennzahlen und Hintergründe der Erhebung.

Porträt von Kai Schulte, Leiter des Kompetenzcenters Integraler Taktfahrplan NRW Quote

Es gibt durchaus zuverlässige Nahverkehrslinien in NRW. Die Situation ist je nach Region oder Korridor unterschiedlich. Dazu lohnt ein Blick in die linienscharfen Werte des Qualitätsberichts.

Kai Schulte

Leiter Komptenzcenter Integraler Taktfahrplan NRW


Fahrgäste im SPNV NRW müssen derzeit hart im Nehmen sein. Wie stellt sich die Betriebslage im Qualitätsbericht dar?


Kai Schulte: Die landesweit kumulierten Daten aus 2024 zeigen bei Pünktlichkeit und Ausfall erwartbar kein gutes Bild: Mit einer Pünktlichkeitsquote von 75 Prozent und 20 Millionen ausgefallenen Zugkilometern (von circa 118 Millionen Zugkilometern bestellter Verkehrsleistung) kann man nicht von einer zufriedenstellenden Performance sprechen. Der Anteil der für Fahrgäste besonders ärgerlichen kurzfristigen Zugausfälle lag bei rund 6,4 Millionen Zugkilometern und erfreulicherweise unter dem Vorjahreswert. Wenn also Züge ausfallen sind, ist der Anteil der planbaren und meist mit Alternativangeboten versehenen Ausfälle gestiegen. Reisende haben daher immerhin zunehmend die Möglichkeit, sich auf Unregelmäßigkeiten einzustellen.

Bei der Pünktlichkeit gilt für den SPNV NRW mit 3:59 Minuten ein deutlich schärferer Toleranzwert als bundesweit. Da basieren die kommunizierten Daten der DB auf einem Schwellenwert von 5:59 Minuten.

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Warum war 2024 ein so schwieriges Fahrplanjahr?


Kai Schulte: Das Jahr war besonders problematisch, weil sich viele einschränkende Faktoren zeitweise dramatisch überlagert haben. Zur chronisch überlasteten und in Teilen störungsanfälligen Infrastruktur häuften sich zahlreiche Baustellen mit Auswirkungen auf den Fahrplan. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Baustellen eingerichtet werden, damit es in Zukunft wieder besser läuft.


Dazu kommt der Personalmangel bei Triebfahrzeugführer/innen, Stellwerksbesetzungen und in mancher Werkstatt, der sich noch einmal zugespitzt hat. Bei fast jedem zweiten, kurzfristig ausgefallenen Zug war fehlendes Personal der Auslöser. Deshalb hat die Branche zunächst vereinzelt begonnen, auf Linien mit besonders kritischem Personalbestand gezielt Fahrten aus dem Angebot herauszunehmen. Die verbleibenden Leistungen wurden dann wieder verlässlicher erbracht. Dieses Vorgehen wurde im laufenden Jahr ausgeweitet und sorgt nun für mehr Stabilität. Reisende können ihre Fahrten vielerorts wieder besser planen

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Für Pendelnde positiv entwickelt hat sich das Qualitätskriterium "Zugbildung" – und damit die Zahl der angebotenen Sitzplätze. Der vertraglich gesetzte Wert wurde landesweit zu 97,6 Prozent erfüllt.

Es zeichnen sich also Lösungen ab?


Kai Schulte: Die Bahnbranche in NRW hat zu Anfang dieses Jahres das Aktionsprogramm „Personal für mehr Zuverlässigkeit im Betrieb“ aufgelegt und will in diesem Rahmen 700 Qualifizierungsplätze allein für neue Lokführerinnen und Lokführer einrichten. Gleichzeitig sieht das Aktionsprogramm gezielte, temporäre Leistungsreduzierungen in einem Umfang von landesweit bis zu 4,5 Millionen Zugkilometern vor – und zwar dort, wo es absehbare zeitliche Personalengpässe gibt. Das Ziel dabei ist, dass die Verkehrsunternehmen das verbleibende Fahrplanangebot dann zuverlässig fahren können. Für die ausgefallenen Fahrten gibt es zudem möglichst verträgliche Alternativangebote.


Ab wann darf man auf eine Trendumkehr hoffen?


Kai Schulte: Für wirklich belastbare Aussagen ist es noch zu früh. Aber die Entwicklungen in den ersten Monaten des Jahres 2025 machen Mut. Im Januar lagen beispielsweise von 77 geprüften Linien beim Kriterium „kurzfristiger personalbedingter Ausfall“ noch 17 über dem Schwellenwert von einem Prozent, teilweise auch deutlich darüber. Im Mai waren es nur noch fünf Linien. Das ist ein Verdienst der Aufgabenträger, die die Leistungen bestellen und gemeinsam mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen Lösungen für mehr Stabilität im Betrieb erarbeitet haben. Zudem übergeben jetzt auch Betreiber, die stark vom Personalmangel betroffen sind, vorübergehend Leistungen an Partnerunternehmen – so zum Beispiel bei den Linien RE 3, RE 82 oder RE 15. Das kommt dem Fahrgast sicherlich stark entgegen. Außerdem haben erste Verkehrsunternehmen angekündigt, dass ihre Ausbildungsbemühungen spürbare Erfolge zeigen und Fahrplanreduzierungen in den kommenden Monaten zurückgenommen werden können. Das sind positive Entwicklungen.


Welche Herausforderungen bleiben und wie könnten diese aus Ihrer Sicht überwunden werden?


Kai Schulte: Bei allen Bemühungen in der Bahnbranche müssen qualitätssteigernde Maßnahmen derzeit Priorität haben. Dabei wird die Personalgewinnung nach wie vor ein wichtiger Baustein sein. Drei weitere Punkte stehen zudem im Fokus: Erstens müssen wir prüfen, wo wir Betriebsabläufe vereinfachen und entspannen können. Dazu gehören kritische Kurzwenden an den Linienendpunkten und problematische Kupplungsvorgänge, um Linien zu verknüpfen. Außerdem müssen Infrastrukturmaßnahmen zur Beseitigung von Engpässen vorrangig realisiert werden. Das Land NRW hat dafür die Maßnahmenpakete „Robustes Netz“ aufgelegt, aber es hapert bei der Umsetzung durch den Infrastruktureigentümer. Das lässt sich kaum nachvollziehen, zumal NRW 2024 bei der DB-internen Betrachtung beim „Fahrweg“ im Ländervergleich auf dem vorletzten Platz gelandet ist. Das spricht dafür, beim Engagement in NRW endlich eine Schüppe drauf zu legen. Drittens sind Baustellen besser als bisher aufeinander abzustimmen und zu kommunizieren. Das ist manchmal kompliziert, aber kein Hexenwerk und muss im Sinne der Fahrgäste gelingen.


Qualitätsdaten zum SPNV NRW

Mit einem kontinuierlichen Qualitätsmonitoring ermittelt das KC ITF die Pünktlichkeits- und Zuverlässigkeitsquoten nahezu aller Nahverkehrslinien in Nordrhein-Westfalen. Quartalsauswertungen machen den Vergleich verschiedener Qualitätskriterien und Linien möglich. Darüber hinaus werden für den jährlich neu aufgelegten Qualitätsbericht SPNV NRW Daten zum Netz- und Stationszustand erhoben. Der landesweite Bericht bietet somit einen umfassenden Überblick zur Situation der Betriebs- und Infrastrukturqualität in Nordrhein-Westfalen.