So könnte NRW die Klimalücke schließen

Prof. Dr. Ulrike Leyn ist Professorin für Schienenverkehr und Öffentliche Verkehrssysteme am Institut für Baustoffe, Geotechnik, Verkehr und Wasser der TH Köln.

Klima

27. Mai 2025

Zusammenfassung des Impulsvortrags von Verkehrsforscherin Ulrike Leyn bei der Veranstaltung "Faktencheck SPNV. Ausbau stärken. Klima schützen."  


Die CO2-Emissionen in Nordrhein-Westfalen müssen bis 2040 auf 6,8 Millionen Tonnen sinken. Laut Potenzialanalyse des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie schafft das Land mit dem Zielnetz bis 2040 aber „nur“ eine Reduzierung auf maximal 7,8 Millionen Tonnen. Es gilt also eine Lücke von mindestens einer Million Tonnen zu schließen. Wie dies gelingen könnte, hat Ulrike Leyn, Professorin für Schienenverkehr und Öffentliche Verkehrssysteme am Institut für Baustoffe, Geotechnik, Verkehr und Wasser der TH Köln, in ihrem Impulsvortrag beschrieben. 


Die Stärkung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) ist eine Stellschraube, um mehr Menschen vom motorisierten Individualverkehr (MIV) auf die Schiene zu bringen. Für eine konsequente und umfassende Verlagerung auf klimafreundliche Mobilität ist es aber dringend nötig, das System Schiene mit dem gesamten Öffentlichen Personenverkehr bis ins kleinste Detail zu denken und zu verzahnen. Dazu braucht es konkrete Schritte, nach dem Prinzip: „Vermeiden, Verlagern, Verbessern“. 


  • Vermeiden: Verkehr möglichst gar nicht erst entstehen lassen (z. B. durch Homeoffice)
  • Verlagern: Umstieg auf Verkehrsmittel des Umweltverbunds
  • Verbessern: Bestehende Verkehre effizienter und sauberer gestalten



Dieses Prinzip bietet eine klare Struktur. Zuerst versucht man, Verkehr grundsätzlich zu vermeiden. „Einen starken Effekt hat man z.B. während der Anfangszeit der Corona Pandemie gesehen, als plötzlich Platz auf Straßen und in Zügen war“, sagte Professorin Leyn. Verkehr, den man nicht vermeiden kann, solle bestmöglich auf umweltfreundliche Verkehrsmittel verlagert werden. Was dann noch übrig bleibt, müsse so verbessert werden, dass die negativen Umweltwirkungen möglichst gering ausfallen.

Prof. Dr. Ulrike Leyn ist Professorin für Schienenverkehr und Öffentliche Verkehrssysteme am Institut für Baustoffe, Geotechnik, Verkehr und Wasser der TH Köln. Quote

Die Systeme für Anschlusssicherung existieren, aber sie kosten Geld und müssen mit qualitativ hochwertigen Daten gefüttert werden

Ulrike Leyn

Verkehrsforscherin an der TH Köln


Der Ist-Zustand

Die im März 2025 veröffentlichte Mobilitätsstudie „Mobilität in Deutschland (MiD) 2023“ zeigt, dass der ÖPNV im Vergleich zur Straße immer noch selten genutzt wird. Nur 11 Prozent der Wege in Deutschland werden mit dem ÖPNV zurückgelegt. Dagegen stehen 53 Prozent, die mit dem Auto bewältigt werden. 44 Prozent der Bevölkerung nutzen den ÖPNV nie oder fast nie. Ein weiteres Problem ist der Zustand der öffentlichen Verkehrsstruktur in vielen Bereichen. Die subjektive Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem ÖPNV sinkt laut der Studie und damit wahrscheinlich auch bei den 23 Prozent der Menschen, die Bus und Bahn regelmäßig nutzen. Dabei sind die Anforderungen an den ÖPNV klar: Laut Verbraucherreport 2023 sind unter den wichtigsten Anforderungen an einen attraktiven öffentlichen Verkehr Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, verlässliche Informationen bei Störungen sowie die sichere Weiterfahrt auch bei Ausfällen.

Beispielhafte Maßnahmen für einen besseren SPNV:

Für die Verbesserung des SPNV gebe es viele Möglichkeiten, die bei gleichzeitiger Umsetzung einen großen Gesamteffekt hätten. In ländlichen Regionen sowie in Randbereichen von Städten zu späten Uhrzeiten müssten Anschlussverbindungen garantiert sein. Wer abends an einem Bahnhof ankommt, müsse auch die Möglichkeit haben, dort seine Fahrt mit einem Bus oder anderen Verkehrsmitteln fortzusetzen, so die Verkehrswissenschaftlerin. 


„Die Systeme für Anschlusssicherung existieren, aber sie kosten Geld und müssen mit qualitativ hochwertigen Daten gefüttert werden. Diese kann man dann aber auch direkt für einen weiteren wichtigen Aspekt nutzen: Fahrgastinformationen“, erklärte Leyn. Diese sollten am besten in Echtzeit, korrekt sowie über verschiedenen Medien hinweg konsistent vermittelt werden und gut zu erreichen sein. Die mobilen Schienenersatzverkehr-Masten, die bei der Sanierung der Riedbahn oder aktuell im Raum Köln eingesetzt werden, seien dafür ein positives Beispiel.

Erweiterung des SPNV Zielnetzes NRW

Zudem hält die Expertin von der TH Köln die Erweiterung des Zielnetzes für eine wichtige Maßnahme. Wenn man diesen Bereich weiterdenke, könnte dabei auch die Automatisierung auf der Schiene eine wichtige Rolle spielen. Das Projekt „Digitale S-Bahn Hamburg“ zeige, wie Zukunft geht. Hier fahren seit 2022 automatisierte S-Bahn-Züge, die per Funk gesteuert und mit intelligenter Leit- und Sicherungs-technik vernetzt sind. In Stuttgart läuft zudem das Projekt „Automated Train“, das sich auf automatische Verkehre zum Bereitstellen und Abstellen von Zügen konzentriert. In diesen automatisierten Systemen könnte auch ein Schlüssel zur Lösung des Personalmangels liegen. 


Was gleichermaßen zukünftig nur ohne Fahrpersonal wirtschaftlich betreibbar sein wird, seien Bedarfsverkehre im ländlichen Raum. „Das wurde vor vielen Jahren schon erkannt. Sie sind wichtig für den Erhalt des ländlichen ÖPNV und die Verbesserung der Angebotsqualität als Zubringer zum SPNV“, sagt die Mobilitätsexpertin. Sogenannte On-Demand-Angebote könnten gerade außerhalb der Städte die erste und letzte Meile zum SPNV abdecken – personalunabhängig und mit flexibler Steuerung.


 
Das Bild zeigt einen wartenden Menschen vor einem Zug. Das Schriftsymbol CO2 markiert den Beitrag des Schienenverkehrs zum Klimaschutz.
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CO2-Emissionen und Klimaschutzpotenziale

 
Ein Zug fährt durch eine grüne Landschaft.
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Daten und Fakten zur Angebotsentwicklung


Finanzierung sichern – Deutschlandticket weiter stärken

Einige Maßnahmen zeigen bereits Wirkung. Das Deutschlandticket ist ein Erfolgsmodell. Die MiD-Studie zeigt: Menschen mit Deutschlandticket legen 32 Prozent ihrer Wege mit dem öffentlichen Verkehr zurück. Nur 27 Prozent ihrer Wege werden mit dem motorisierten Individualverkehr durchgeführt, also z. B. mit dem eigenen Auto. Die aktuelle Regierung hat versprochen, das Deutschlandticket bis mindestens 2029 zu finanzieren und dabei auch den Preis stabil zu halten. Das sorgt für Planungssicherheit. Jeder zufriedene Nutzer sei zudem ein potenzieller Werbeträger, um die aktuell 44 Prozent SPNV-Nichtnutzer erreichen zu können. 

Prof. Dr. Ulrike Leyn ist Professorin für Schienenverkehr und Öffentliche Verkehrssysteme am Institut für Baustoffe, Geotechnik, Verkehr und Wasser der TH Köln. Quote

Das Bilden von Fahrgemeinschaften und die Flexibilisierung von Arbeitszeiten (vor allem Arbeitszeitbeginne), am besten unterstützt durch die Arbeitgeber, ist hier ein wichtiger Ansatzpunkt, um die Nachfragespitzen anders zu verteilen und damit die vorhandenen Kapazitäten besser zu nutzen.

Ulrike Leyn

Verkehrsforscherin an der TH Köln


Neben den bis jetzt betrachteten Verlagerungschancen hin zum SPNV sowie zum gesamten ÖPNV spielen noch zwei weitere Punkte eine wichtige Rolle: das Vermeiden und Verbessern. 


Eine einfache Möglichkeit der Vermeidung stelle das flexible Arbeiten dar. Wer nicht zur Arbeit fahren muss und im Homeoffice tätig ist, spare automatisch Personenkilometer im MIV. Zudem biete der Pkw-Besetzungsgrad eine große Hebelmöglichkeit. Seit 2002 liegt der Besetzungsgrad konstant bei nur 1,5 Personen, was bedeutet, dass sehr viele Menschen immer noch allein mit dem Auto unterwegs sind. Leyn: „Das Bilden von Fahrgemeinschaften und die Flexibilisierung von Arbeitszeiten (vor allem Arbeitszeitbeginne), am besten unterstützt durch die Arbeitgeber, ist hier ein wichtiger Ansatzpunkt, um die Nachfragespitzen anders zu verteilen und damit die vorhandenen Kapazitäten besser zu nutzen.“ 

Tempolimit: Schnell, einfach, wirksam

Apropos Stau: Eine Verbesserung im Straßenverkehr erreiche man vor allem über eine Verflüssigung durch weniger Stau oder zähfließenden Verkehr. Dazu könne beispielsweise auch ein Tempolimit beitragen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat, ebenfalls im März 2025, eine Studie zu einem allgemeinen Tempolimit auf deutschen Autobahnen von 130 km/h veröffentlicht. Das Ergebnis zeigt je nach Befolgungsgrad eines solchen Tempolimits eine mögliche Einsparung von etwa 1,3 bis 2 Millionen Tonnen CO2. Allein diese Maßnahme könnte die anfangs genannte Lücke von 1,2 Millionen Tonnen im Verkehrsbereich in NRW schließen. 


Die Analysen von Ulrike Leyn zeigen: Der ÖPNV und vor allem ein leistungsfähiger, qualitativer SPNV haben einen großen Einfluss auf das Erreichen der Klimaziele. „Dieser ist auch noch um einiges größer als bisher berechnet: Die zukünftigen Veränderungen des ÖPNV-Angebots sind noch nicht im Modell der Studie zur Klimabilanz enthalten“, sagt die Expertin. Dort wurde mit einem Angebot gerechnet, das noch nicht auf das Zielnetz 2040 des SPNV abgestimmt ist. Da zudem in Kombination mit anderen Verkehrsträgern der Effekt für die Klimabilanz noch viel stärker zu erwarten sei, sei eine ganzheitliche Betrachtung für die Mobilitäts- und Klimawende unbedingt notwendig. 


Aus der Analyse von Ulrike Leyn lassen sich folgende Handlungsempfehlungen ableiten:

Zielnetz 2040 verbindlich finanzieren und umsetzen

Ausbau des SPNV als Rückgrat der Mobilitätswende

Verlässliche und digitale Anschlusssicherung einführen

vor allem in Randbereichen von Städten und Regionen in Randzeiten

Echtzeit-Fahrgastinformation flächendeckend verbessern

Klare Kommunikation über Störungen, Verspätungen und Alternativen.

Automatisierung auf der Schiene fördern

nach Vorbild Hamburg/Stuttgart: für mehr Effizienz, Pünktlichkeit und Lösung des Personalproblems

Investitionsstau im kommunalen ÖPNV auflösen

Erhalt und klimafitte Erneuerung maroder Infrastruktur

Intermodale Angebote gezielt stärken

Bike&Ride, Sharing, Mobilstationen

Verkehr vermeiden durch politische Flankierung von flexiblen Arbeitsmodellen und Fahrgemeinschaften

Arbeitgeber mit ins Boot holen, Steueranreize setzen

CO₂-Einsparpotenzial durch Tempolimit heben

fachlich belegt, politisch überfällig