Im Gespräch mit Robert Kratzer, Geschäftsführer von socialbee

Der Geschäftsführer von Social-Bee Robert Kratzer spricht auf der KarriereSchiene in Bochum von der Bühne.

Arbeitgeber

30. Oktober 2025

„Wir bauen Hürden auf, wo es keine braucht“

Die Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten und Geflüchteten kann einen zentralen Beitrag zur Lösung des Fachkräftemangels leisten. Robert Kratzer von socialbee erklärt im Interview, was die Bahn- und Verkehrsbranche dabei beachten sollte.


Tausende Fachkräfte für die öffentliche Mobilität werden händeringend gesucht. Zugewanderte und Geflüchtete könnten helfen, die Personallücken zu schließen. Doch wie kann diese Zielgruppe für die Branche gewonnen werden? Wie gelingen Ausbildung und Qualifzierung? Und: Wo gibt es Probleme – für die Unternehmen als Arbeitgeber genauso wie für Geflüchtete? Antworten auf diese Fragen weiß Robert Kratzer. Als Geschäftsführer des Unternehmens socialbee hat er sich auf die Integration von Migrant/innen und Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt spezialisiert und kennt Chancen sowie Herausforderungen dabei aus erster Hand. Nach seinem Beitrag auf der KarriereSchiene 2025 spricht er im Fokus-Bahn-Interview über persönliche Erfahrungen, bürokratische Stolpersteine und darüber, was wirklich nötig ist, damit Integration in der Bahn- und Verkehrsbranche gelingt.

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Integration in die Gesellschaft geht vor allem über Arbeit – und Sprache lernt man am besten im Job. Zentrale Bedürfnisse, die Menschen zurecht haben, gehen nur über Arbeit. Aber um dahin zu kommen, braucht es Begleitung für beide Seiten.

Robert Kratzer

Geschäftsführer socialbee


Mit Ihrem Start-Up erleben Sie täglich, wie viel Potenzial in Geflüchteten steckt – und wie viele Hürden ihnen im Weg stehen. Gab es bereits einen Moment, wo sie an den Systemen in Deutschland verzweifelt sind?


Robert Kratzer: Das passiert leider immer wieder, auch wenn es oft klappt und das Mut macht. Bürokratie bremst uns oftmals aus – besonders beim Thema Arbeitserlaubnis. Wir erleben Fälle, in denen jemand ein Jobangebot hat und sofort anfangen könnte. Er darf es aber nicht, weil noch ein Formular fehlt oder eine Frist ablaufen muss. Das kann sich über Monate hinziehen. Da treffen staatliche Bürokratie und interne Firmenstrukturen aufeinander, die überhaupt nicht kompatibel sind.


Und was tun die Unternehmen dann? 


Kratzer: Manche winken ab, sobald zu viel Aufwand entsteht. Ihre Abläufe sind auf ‚Standardbewerbungen‘ eingerichtet – nicht auf Fälle, die mehr Betreuung brauchen.


Wie stellt sich Ihnen diese Situation im ÖPNV dar? 


Kratzer: Ein Angebot und eine Nachfrage, die nicht zueinander finden – das ist vielleicht das größte Problem. Viele Unternehmen glauben, ihre Jobs seien für viele Menschen unattraktiv. Unsere Talente sehen das ganz anders: Sie schätzen Sicherheit, Kontakt mit Menschen und gesellschaftliche Relevanz. Aber diese Welten müssen erst einmal verbunden werden.


Wo stolpern Geflüchtete im Bewerbungsprozess für Bus und Bahn am häufigsten? 


Kratzer: Viele unserer Talente kennen das deutsche Bewerbungssystem schlicht nicht. Für uns ist klar, dass man ein Anschreiben, einen Lebenslauf und Zeugnisse einreichen muss. In anderen Ländern ist das nicht so üblich. Deshalb reicht es nicht, nur zu sagen: ‚Bitte bewerben“. Wir müssen auch erklären, warum welche Unterlagen gebraucht werden. Dazu kommen Sprachtests, Qualifikationsnachweise, Gesundheitszeugnisse usw., der Papierberg ist hoch. Beide Seiten brauchen Geduld. Viel Geduld.

Die Social-Bee gGmbH (kurz: socialbee) wurde 2016 gegründet und verfolgt die Idee, Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund durch gezielte Qualifizierung, Vermittlung und intensive Begleitung nachhaltig in Arbeit zu bringen. Das Unternehmen mit seinen Büros in München und Stuttgart arbeitet deutschlandweit und kooperiert insbesondere mit Unternehmen aus Branchen wie dem öffentlichen Verkehr, der Logistik und der Industrie, die einen akuten Mangel an Fachkräften haben. socialbee bietet individuelle Integrations- und Qualifizierungsprogramme an, unterstützt sowohl die Bewerber/innen als auch die Unternehmen während des gesamten Einstellungsprozesses und setzt auf innovative Ansätze wie Bewerbung per WhatsApp, Mentoring-Programme und Sprachförderung. Robert Kratzer bildet mit Zarah Bruhn die Geschäftsführung.

Warum bleibt das Potenzial so vieler Migrant/innen immer noch ungenutzt? 


Kratzer: Weil wir Hürden bauen, wo es keine braucht. Wer arbeiten will und kann, sollte sofort eine Chance bekommen. Dazu kommt: Wir sind oft nicht ehrlich genug – weder zu den Talenten darüber, was realistisch möglich ist, noch zu den Unternehmen darüber, was sie wirklich brauchen. Stattdessen verlieren wir uns in politisierten Debatten. Dabei liegt die Lösung direkt vor uns: offene Stellen und motivierte Menschen matchen.


Wie geht socialbee diese Lösung an? 


Kratzer: Wir begleiten beide Seiten und übersetzen quasi: Unternehmen lernen, was Bewerbende mitbringen; Talente erfahren, was Unternehmen erwarten. Manchmal heißt das: erst einen Schritt zurückgehen, um langfristig ans Ziel zu kommen. 


Was müssen Verkehrsunternehmen tun, damit neue Mitarbeitende aus anderen Ländern bleiben?


Kratzer: Sie brauchen interkulturelle Kompetenz im ganzen Team, nicht nur bei den Neuankömmlingen. Schließlich können schon kleine Unterschiede schnell zu großen Missverständnissen führen. Wie gibt man Feedback? Wie nimmt man es an? Das ist kulturell komplett unterschiedlich. In manchen Kulturen schaut man sich nicht direkt in die Augen, in anderen schon. So werden Dinge oft negativ ausgelegt, obwohl sie gut gemeint sind. Das muss man verstehen, um unnötige Konflikte zu vermeiden.


Sie arbeiten mit Unternehmen wie der Rheinbahn zusammen: Was war Ihr größtes Aha-Erlebnis?


Kratzer: Dass Pilotprojekte der Schlüssel sind. Man muss ins Tun kommen, sich erst mal trauen – auch wenn nicht alles glattläuft. Am Anfang sammelt man immer Erfahrungen und versteht besser, was die wirklichen Hürden sind, zum Beispiel, dass Bürokratie im Verkehrssektor noch einmal eine größere Rolle spielt als in anderen Branchen. Man lernt, wo es hakt: Welche Talente passen? Welche Prozesse sind zu kompliziert? Und wie lassen sich Bürokratie-Hürden entschärfen? Das ist wichtiger als endlos zu planen.


 
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