Fokus Bahn NRW im Gespräch mit Marcel Scharrelmann, CDU
Programm
12. September 2024
„Die Ausbildung von Lokführerinnen und Lokführern hat aktuell oberste Priorität.“
Die Vision für den ÖPNV 2040 im benachbarten Bundesland Niedersachsen: Regionalexpressverbindungen verkehren im 30 Minuten-Takt und die Taktung von S-Bahnen in den Ballungsräumen soll auf 15 bis 20 Minuten erweitert werden. So möchte man die Fahrgastzahlen bis 2040 verdoppeln. „Das Konzept unserer rot-grünen Landesregierung liest sich gut, lässt aber aus meiner Sicht noch viele Fragen offen“, meint dazu Marcel Scharrelmann, Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung des niedersächsischen Landtags. Der CDU-Politiker wünscht sich insbesondere Lösungen für den bestehenden Personalmangel im SPNV und die Behebung von Kapazitätsengpässen auf den Schienenwegen. Im Interview mit Fokus Bahn NRW erklärt er, warum er eine Zusammenarbeit der Bahnbranche über Landesgrenzen hinweg sinnvoll fände.
Im SPNV NRW führen Baustellen und Engpässe der Schienen-Infrastruktur ebenso wie der Mangel an Lokführern tagtäglich zu massiven Belastungen für Fahrgäste und Mitarbeiter. Wie beurteilen Sie die Lage in Niedersachsen?
Marcel Scharrelmann: Die Situation ist bedenklich, insbesondere der Personalmangel macht dem SPNV in Niedersachsen zu schaffen. Auf einigen Nebenstrecken kann von einem verlässlichen SPNV nicht mehr die Rede sein. Aber auch auf den Hauptachsen fallen ständig Regionalexpress-Züge aufgrund von Lokführermangel aus. Durch die ständigen Zugausfälle erweisen wir dem Ziel und der Akzeptanz einer Verkehrswende hin zur Schiene gerade einen Bärendienst.
Wenn wir es mit der Verkehrswende ernst meinen, brauchen wir deutlich mehr SPNV und somit mehr Züge und mehr Personal.
Marcel Scharrelmann
Mitglied des niedersächsischen Landtags
Im SPNV Nordrhein-Westfalens bündelt Fokus Bahn NRW die Interessen der verschiedenen Akteure im Sinne ihrer gemeinsamen Fahrgäste. Wie blicken Sie aus niedersächsischer Perspektive auf diesen Ansatz?
Marcel Scharrelmann: Ich finde es gut, wenn alle Beteiligten eng zusammenarbeiten und sich abstimmen. Denn Fahrgäste interessiert vor allem, dass Züge verlässlich fahren, die unterschiedlichen Linien gut miteinander verknüpft sind und sie pünktlich am Ziel ihrer Reise ankommen. In Niedersachsen klappt dieses Zusammenspiel im Moment weniger. Einige Verbindungen sind regelmäßig von Verspätungen durchzogen, die sie selbst nicht verschuldet haben.
Zur Bewältigung des Lokführermangels entwickelt Fokus Bahn NRW seit 2019 unternehmensübergreifende Maßnahmen. Wäre das aus Ihrer Sicht auch länderübergreifend denkbar?
Marcel Scharrelmann: Es bringt nichts, wenn sich die Unternehmen gegenseitig die Fachkräfte abwerben. So werden Kapazitätsprobleme nur verschoben, aber nicht behoben. Durch eine enge Zusammenarbeit, gerne auch länderübergreifend, können wir zusätzlich dafür sorgen, dass potenzielle Bewerberinnen und Bewerber nicht mehr so lange Wege auf sich nehmen müssen, um die anspruchsvolle Ausbildung absolvieren zu können. Oberstes Ziel muss es sein, dass dem Schienenverkehr wieder mehr Lokführerinnen und Lokführer zur Verfügung stehen, damit Personalausfälle besser aufgefangen und möglichst auch wieder mehr Verkehrsleistungen auf der Schiene angeboten werden können.
Länderübergreifend funktioniert derzeit das Deutschlandticket. Damit gibt es erstmals eine Flatrate für den gesamten ÖPNV. Daneben bieten viele Bundesländer Digitaltarife für Gelegenheitsfahrer. Inwieweit sehen Sie eine Chance, die Tarifvielfalt weiter zu vereinfachen und damit den Ausbau attraktiver Mobilität auf der Schiene voranzubringen?
Marcel Scharrelmann: Wir müssen uns ehrlich machen und anerkennen, dass ein guter ÖPNV Teil der Daseinsfürsorge ist. Der ÖPNV kann nur betrieben werden, weil gerade Bundesländer und Kommunen viel Geld in ihn investieren. Die Fahrgäste interessieren dabei keine Tarifgrenzen und Verkehrsverbünde. Das Deutschlandticket sollte auf jeden Fall erhalten werden. Es hat die Nutzung des ÖPNV einfach gemacht – und ich hoffe, dass wir auch für Gelegenheitsfahrer Vereinfachungen erreichen. Es muss beispielsweise nicht sein, dass an einem Fahrkartenautomaten durch verschiedene Verbund- und Ländertarife unterschiedliche Preise für dieselbe Fahrt aufgerufen werden. Ich bin offen für gute Vorschläge, wie wir den immer noch bestehenden Tarifdschungel weiter lichten können. Dies wird in jedem Fall intensive Gespräche und Verhandlungen beinhalten. Ich kann verstehen, dass einigen Verkehrsverbünden die Vereinheitlichung der Tarife schwerfällt. Das Deutschlandticket hat jedoch gezeigt, dass es geht.
Die Deutsche Bahn hat unlängst ihre Infrastrukturaktivitäten in die Gesellschaft DB InfraGo überführt. Inwieweit halten Sie deren Steuerung nach Gemeinnützigkeitskriterien für realistisch?
Marcel Scharrelmann: Das große Ziel einer Bahnreform, die in einen Börsengang der Deutschen Bahn AG mündet, ist schon lange gescheitert. Das Unternehmen benötigt für seine Infrastruktur Milliarden Euro vom deutschen Staat. Ob die Infrastrukturaktivitäten nun gemeinnützig oder marktwirtschaftlich geführt werden, halte ich für zweitrangig, weil erst einmal die Hauptstrecken saniert werden müssen. Das wird Jahre dauern und die Kapazitäten auf den Strecken nur langsam steigern. Perspektivisch habe ich aber die Hoffnung, dass die Fokussierung auf die Gemeinnützigkeit dazu führt, dass es durch geringere Streckenentgelte endlich auch zu einem größeren Wettbewerb im Fernverkehr kommt.
Die Liberalisierung des SPNV-Marktes liegt fast 40 Jahre zurück, die Erfolge des Wettbewerbs sind weitgehend anerkannt. Gleichzeitig liegen heute wesentliche Teile der Wertschöpfungskette wie das Fahrgast-Marketing oder Fahrzeugbeschaffung und Instandhaltung in öffentlicher Hand, sodass sich Bahnunternehmen im Wettbewerb über kaum mehr als die Personalkosten differenzieren können. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Marcel Scharrelmann: Ich bin überzeugt, dass wir mehr Zusammenarbeit brauchen. Der SPNV ist hochgradig subventioniert und die Differenzierung über die Personalkosten ist in Zeiten des Fachkräftemangels an seine Grenzen gestoßen. Wir müssen als erstes wieder dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger den SPNV häufiger nutzen. Das geht nur mit verlässlichen, pünktlichen, modernen und sauberen Zügen. Die Probleme sind bei den beauftragten Unternehmen in der Regel gleich, deshalb kann ich nur appellieren, die Problemlösung gemeinsam anzugehen. Vor allem Wettbewerb hat für mich die Ausbildung neuer Lokführerinnen und Lokführer aktuell oberste Priorität.
Fokus Bahn Interviews
Mit Expert/innen aus Politik und Gesellschaft erörtert Fokus Bahn NRW Fragen der öffentlichen Mobilität. Marcel Scharrelmann ist der sechste Gesprächspartner. Er folgt auf Christof Rasche (FDP NRW), Ina Besche-Krastl (DIE GRÜNEN NRW), Carsten Löcker (SPD NRW), Lothar Ebbers (Pro Bahn NRW) und Matthias Goeken (CDU NRW).