Gemeinsam zu einem neuen Zielbild für den SPNV in Nordrhein-Westfalen

Mehrere Gleise die auf staubigem Untergrund liegen. Im Hintergrund sind mehrere Züge zu sehen.

Programm

02. Juni 2022

Im Gespräch mit Karin Paulsmeyer, Leiterin der Stabsstelle Fokus Bahn NRW

In gemeinsamen Themenworkshops erarbeiten die Partner/innen von Fokus Bahn NRW derzeit ein neues Zielbild für den SPNV in Nordrhein-Westfalen. Stabstellen-Leiterin Karin Paulsmeyer beschreibt die Herausforderungen im Zielbildprozess.


Ein leistungsstarker SPNV gilt als Schlüssel für eine erfolgreiche Mobilitäts- und Klimawende. Der Fachkräftemangel, eine nach wie vor unzulängliche Infrastruktur, eine kritische Finanzierung des Betriebs und des angestrebten Wachstums von Angebot und Qualität sowie die Folgen der Coronakrise bedeuten allerdings anhaltende Herausforderungen für die Bahnbranche. Die Programmpartner/innen von Fokus Bahn NRW arbeiten aktuell an einem gemeinsamen Zielbild, das die Voraussetzungen für das Gelingen der Mobilitätswende im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland definiert. Karin Paulsmeyer, Leiterin der Stabsstelle Fokus Bahn NRW beim Landesverkehrsministerium, beschreibt die Hintergründe und Diskussionsthemen der Zielbildentwicklung.


Warum braucht der SPNV in Nordrhein-Westfalen ein Zielbild?


Karin Paulsmeyer: Rund 40 Prozent der SPNV-Leistung in NRW stehen in diesem Jahr zur Ausschreibung an. Phasen wie diese bieten große Chancen, um die Weichen für die Herausforderungen der Zukunft neu zu stellen. Dabei wollen wir die in den vergangenen Jahren gewonnenen Erkenntnisse für eine nachhaltige Stärkung des Systems Schiene und seiner Akteur/innen nutzen. Nicht zuletzt hat uns der Marktaustritt von Abellio noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass wir für den klimagerechten Umbau der Mobilität mit einem leistungsfähigen SPNV und somit für das Gelingen der Klimawende neue Impulse brauchen. Wir wollen die Erfahrungen der Krise ebenso wie die Stärken der Zusammenarbeit bei Fokus Bahn nutzbar machen, um die Herausforderungen der Zukunft anzugehen. In einem gemeinsamen Zielbildprozess wollen wir uns über mögliche Lösungen verständigen und die Voraussetzungen für das Gelingen der Mobilitätswende definieren.


Wie gehen Sie die Zielbildentwicklung methodisch an?


Karin Paulsmeyer: Wichtig ist, dass dieser Zielbildprozess für die Aufgabenträger und die Eisenbahnverkehrsunternehmen Chefsache ist. Die Geschäftsführer/innen treffen sich zunächst in fünf Themen-Workshops und diskutierten dort mit externen Branchenexpert/innen die aus ihrer Sicht zentralen Fragen der zukünftigen Marktentwicklung. Im Anschluss daran findet eine Klausurtagung statt, in der wir das gemeinsame Zielbild SPNV NRW 2030 mit konkreten Handlungsbedarfen formulieren.


Portrait von Karin Paulsmeyer Quote

Es ist unser Ziel, dass wir als Brancheninitiative mit ganz konkreten Maßnahmen die Mobilitätswende voranbringen

Karin Paulsmeyer

Leiterin Stabsstelle Fokus Bahn NRW

Um welche Themen geht es konkret in den Zielbild-Workshops?


Karin Paulsmeyer: Für den ersten Workshop konnten wir mit Bernhard Wewers einen der prominentesten Gestalter des SPNV-Wettbewerbs der letzten Jahrzehnte als Referenten gewinnen. Mit seinen Ausführungen zum Thema „25 Jahre Wettbewerb im SPNV“ hat er ein sehr zentrales Handlungsfeld vorgezeichnet – nämlich die zukünftige Gestaltung von Verkehrsverträgen mit Blick auf die Anforderungen an Markt und Wettbewerb. Dementsprechend hat die Juristin Dr. Ute Jasper im zweiten Workshop über Verkehrsverträge als Grundlage der Marktentwicklung referiert. Anschließend haben wir mit Alexander Möller von Roland Berger über die Kosten der Klimawende im Öffentlichen Verkehr diskutiert. Wichtig für uns ist dabei zum einen, wie wir die Klimaziele des Bundes im SPNV Nordrhein-Westfalens umsetzen können. Zum anderen ist es das Ziel, dass wir als Brancheninitiative mit ganz konkreten Maßnahmen die Mobilitätswende voranbringen.


Können Sie schon Ergebnisse aus den Diskussionen ziehen?


Karin Paulsmeyer: Die Diskussionen in den Workshops waren extrem konstruktiv. Dabei teilen alle Beteiligten ein starkes Bekenntnis zu einem funktionierenden, fairen Wettbewerb im SPNV, bei dem nicht allein der Preis, sondern vielmehr die Qualität entscheidend ist. Alle Beteiligten sind im Konsens, dass die am Fahrgast orientierte Weiterentwicklung des Wettbewerbs eine zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Mobilitätswende ist. Die damit verbundenen Fragestellungen werden wir in den nachfolgenden Workshops vertiefen. Dr. Tobias Heinemann, Präsident des Interessenverbands mofair, wird uns mit seinem Statement „Mehr Markt wagen!“ weitere Impulse geben. Und Andreas Schilling, Vorstandsbeauftragter Marketing der DB Regio AG, wird uns interessante Aspekte für einen Regionalverkehr mit Zukunft aufzeigen.


Wo sehen Sie die wichtigsten Handlungsfelder für den SPNV bis 2030?


Karin Paulsmeyer: Gemeinsam schauen wir uns an, ob die aktuellen vertraglichen Strukturen für eine langfristige Sicherung eines wettbewerblichen und stabilen SPNV-Angebotes ausreichend sind, und sammeln Ideen, wie sie neu ausgerichtet werden könnten. Darin sehen wir eine Grundvoraussetzung für die Mobilitätswende mit einem starken SPNV als Rückgrat. Unsere gemeinsame Ideensammlung soll helfen, dass die Unternehmen flexibel auf unerwartete Marktveränderungen reagieren können. Stichworte sind da sicherlich der Fachkräftemangel, die Corona-Pandemie, die jahrelange Baustellenproblematik im Schienennetz oder auch die allgemeinen Preissteigerungen beispielsweise bei der Energie infolge der Ukraine-Krise. Es gilt, finanzielle und operative Risiken fair zu verantworten sowie intelligente Anreiz- und Pönalesysteme zur Qualitätssicherung und -steigerung einzubringen. Vor allem aber: Die Mobilitäts- bzw. die Klimawende im Öffentlichen Verkehr erfordert eine starke Qualitäts- und Angebotsoffensive im SPNV. Die Qualität der SPNV-Infrastruktur bleibt ein wichtiges Thema – auch mit Blick auf eine vernetzte Mobilität mit flexiblen Bedienformen. Hier müssen wir nicht nur Schienenwege und Stationen im Blick haben, sondern auch die weitere Anbindung der Fahrgäste, deren Wege nicht am Bahnhof enden. Die Mobilitätswende gelingt nur, wenn es echte und leistungsfähige Alternativen und Verknüpfungen zum motorisierten Individualverkehr gibt. Der SPNV mit zuverlässigen und schnellen Verbindungen ist sicher das Rückgrat, aber wir müssen immer auch über die Schiene hinausdenken.