„Der Öffentliche Verkehr muss die Lokomotive für Klimaschutz sein“

Nahaufnahme eines Gleises, zwischen dessen Streben grünes Grad wächst.

Klima

21. November 2023

Freie Fahrt für freie Bürger? Aber mit welchen Verkehrsmitteln? Im Gespräch mit Fokus Bahn NRW betont Caritas-Referentin Astrid Schaffert, dass sich der Öffentliche Verkehr als Rückgrat für den Klimaschutz und die Mobilitätswende stärker positionieren muss.


„Klimaschutz ist ganz sicher eine soziale Frage. Ohne Klimaschutz wird Armut weiter wachsen“, sagt Astrid Schaffert. Die Leiterin der AG Klimaschutz beim Deutschen Caritasverband fordert ein entschiedenes Handeln gegen die Klimakrise und insbesondere den Ausbau der Mobilität im Umweltverbund. Im Interview mit Fokus Bahn NRW erklärt sie, warum der ÖPNV den Klimaschutz voranbringen und gleichzeitig Mobilitätsarmut lindern kann. Wichtig dabei ist eine starke Positionierung in Politik und Gesellschaft.


Die Caritas wirbt in ihrer Jahreskampagne 2023 für „Klimaschutz, der allen nutzt.“ Warum startet ein Wohlfahrtsverband eine Kampagne für den Klimaschutz?


Astrid Schaffert: Wer Klimaschutz verhindern will, schiebt gerne die Bedürfnisse ärmerer Menschen vor und lenkt damit im gesellschaftspolitischen Diskurs vom Thema ab. Klimaschutz ist ganz sicher eine soziale Frage, aber ein konsequenter Klimaschutz wird Armut lindern und nicht verstärken. Der Verkehrssektor liefert dafür ein Paradebeispiel. Lange fokussierte die Verkehrspolitik auf den motorisierten Individualverkehr, also auf das Auto. Aber rund 50 Prozent der Menschen in den unteren Einkommensgruppen können sich gar kein Auto leisten, haben keinen Führerschein oder können aus gesundheitlichen Gründen nicht Auto fahren. Wenn sie dann noch auf dem Land leben, sind sie zunehmend von Mobilitätsarmut betroffen. In den Städten wiederum sind es die ärmeren Menschen, die an dicht befahrenen Straßen mit hohem Verkehrslärm und Feinstaubemissionen wohnen. Mehr Klimaschutz, also der Ausbau von ÖPNV sowie sichere Fuß- und Radwege auf der einen Seite und Zurückdrängung des Autoverkehrs auf der anderen Seite, würde mehr Menschen mehr Mobilität und mehr soziale Teilhabe ermöglichen – und auch dafür sorgen, dass sie ein gesünderes Leben führen könnten. Ohne Klimaschutz wird Armut weiter wachsen.


Nun macht das Deutschlandticket den ÖPNV so günstig wie nie zuvor. Gibt es da immer noch Mobilitätsarmut?


Astrid Schaffert: Das Deutschlandticket ist ein Schritt in die richtige Richtung und ganz sicher eine große finanzielle Entlastung für Berufspendler/innen. Aber Menschen, die Bürgergeld, Sozialhilfe oder andere Transferleistungen beziehen, führt es nicht aus der Mobilitätsarmut, dafür ist es leider immer noch zu teuer. Das Deutschlandticket schafft auch keine Mobilitätsangebote dort, wo sie fehlen. Umgekehrt bewegt das Deutschlandticket Besserverdienende nicht ausreichend zum Verzicht auf das eigene Auto. Schon mit Blick auf die deutlich längeren Fahrzeiten, ist das öffentliche Verkehrsnetz mit Bus und Bahn – so wie es sich derzeit in der Fläche darstellt – nicht bedarfsgerecht. Das liegt vor allem an der jahrelang vernachlässigten Infrastruktur. Also fahren Besserverdienende weiterhin mit dem eigenen Pkw und leisten ihren Beitrag zu den hohen Emissionen im Verkehrssektor. Diese belasten dann wieder die ärmeren Menschen, die an viel befahrenen Straßen wohnen.


Nach einem Leistungskostengutachten aus dem Jahr 2021 rechnet der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen mit rund 48 Milliarden Euro an zusätzlichen Kosten zur Gestaltung der Klima- bzw. Mobilitätswende. Wer soll das bezahlen?


Astrid Schaffert: Der Klimaschutz wurde bislang zu erheblichen Teilen durch Konsumsteuern finanziert. Das gilt auch für die durchaus richtige CO2-Bepreisung. Aber diese Steuern belasten Einkommensärmere im Verhältnis zu ihrem Einkommen deutlich stärker als Besserverdienende. Deshalb plädiere ich dafür, dass die Kosten des Klimaschutzes und der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs aus progressiv erhobenen Steuergeldern finanziert werden. Das ist klimagerecht, sozial gerecht, und sichert die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Mobilität im Sinne der Daseinsvorsorge. Insgesamt sollte die Politik stärkere Anreize setzen, damit Menschen die Mobilität im Umweltverbund nutzen. Es ist doch nicht nachzuvollziehen, dass ein Urlaubsflug ins Ausland günstiger ist als eine Bahnfahrt im Inland. Subventionen, die fossile Energien begünstigen, müssen abgeschafft werden. Menschen mit geringem Einkommen haben auch nichts von Subventionen für E-Autos, weil sie sich gar kein neues Auto leisten können. Sie profitieren aber sehr wohl von einem gut ausgebauten, günstigen ÖPNV.

Portrait von Astrid Schaffert, Leiterin der AG Klimaschutz beim Deutschen Caritasverband Quote

Die Klagen um die hohen Kosten der Klimatransformation lassen unerwähnt, dass die Kosten des Nichts-Tuns noch viel höher liegen werden. Nichts ist teurer als eine ungebremste Klimakrise.

Astrid Schaffert

Leiterin der AG Klimaschutz beim Deutschen Caritasverband


Ganz abgesehen von der Finanzierungsfrage, wie können Menschen in ihrer persönlichen Mobilitätswende bestärkt werden?


Astrid Schaffert: Die meisten Menschen in Deutschland sind bereit, ihr Mobilitätsverhalten zu ändern, wenn sie mit alternativen Verkehrsangeboten besser weiterkommen. Die wohl wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Mobilitätswende ist die passende Infrastruktur. Die Mobilität im Umweltverbund braucht geeignete Verkehrswege, damit sie genutzt wird. Auf gut ausgebauten Radwegen fahren mehr Menschen Rad als auf engen Stolperstreifen. Busspuren im kommunalen ÖPNV und gut ausgebaute Schienenwege im Regionalverkehr stehen für schnellere Fahrzeiten. Dazu müssten größere Busstationen und Bahnhöfe besser erreichbar sein als der nächste Autobahnanschluss. Das verlangt eine konsequente Neuplanung von Infrastruktur. Dann wird die Mobilität im Umweltverbund zum Lifestyle und der Pkw zur Dinosauriertechnologie.


Gemeinsam bestmögliche Lösungen im Sinne der Fahrgäste zu entwickeln, ist das zentrale Commitment der Gemeinschaftsinitiative Fokus Bahn NRW. Welchen Rat geben Sie uns mit auf den Weg?


Astrid Schaffert: Bestmögliche Lösungen für Fahrgäste sind wichtig. Ebenso wichtig sind bestmögliche Lösungen für zukünftige Fahrgäste. Es geht darum, dass mehr Menschen die öffentliche Mobilität nutzen können und nutzen wollen – ganz unabhängig von ihrem Einkommen. Sicher ist es die Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen für eine klimafreundliche, sorgenfreie Mobilität zu schaffen. Aber die Bahnbranche und die Unternehmen im öffentlichen Verkehr müssen diese Rahmenbedingungen mutiger einfordern. Sie müssen sich im gesellschaftlichen Diskurs selbstbewusster als Rückgrat der Mobilitätswende positionieren und die Lokomotive für den Klimaschutz sein.


Für Klimaschutz, der allen nutzt.

Mit seiner Jahreskampagne 2023 "Für Klimaschutz, der allen nutzt." macht sich der Deutsche Caritasverband für eine entschiedene Klimapolitik stark. Neben der energetischen Sanierung von Sozialwohnungen ist ein besserer und günstiger barrierefreier ÖPNV eine Kernforderung der Kampagne.