Die Bahnen in NRW müssen wieder zuverlässig werden

Eine junge Frau mit einem grünen Koffer steht an einem Bahnsteig. Man sieht neben ihr als Panorama die leeren Gleise.

Programm

23. März 2023

Die Möglichkeiten, den SPNV in Nordrhein-Westfalen wieder zuverlässiger zu machen, waren Thema im heutigen Verkehrsausschuss des Landtags. Für Fokus Bahn NRW hat Heinrich Brüggemann den Prozess begleitet.


Wie kann der SPNV in Nordrhein-Westfalen wieder zuverlässiger werden? Antworten auf diese Frage suchte der Verkehrsausschuss des Landtags NRW in einem Expertenanhörungsverfahren. Die Aufgabenträger für den SPNV, Branchen- und Fahrgastverbände, die kommunalen Spitzenverbände sowie die DB als Netzbetreiber waren aufgefordert, ihre schriftlichen Stellungnahmen zu einem entsprechenden Antrag der Fraktion von CDU und Bündnis 90/Die Grünen einzubringen. Heinrich Brüggemann, Co-Projektleiter Fokus Fahrgast bei Fokus Bahn NRW, erläutert die wichtigsten Diskussionspunkte und die Projekte, mit denen die Bahnbranche das System SPNV zuverlässiger und wettbewerbsfähiger machen will.


Der Verkehrsausschuss des Landtags hat Fokus Bahn NRW um eine Stellungnahme zur Verlässlichkeit des SPNVs gebeten. Worum geht es da genau?


Heinrich Brüggemann: Wer als Fahrgast im Nahverkehr auf der Schiene unterwegs ist, bemerkt eigentlich jeden Tag, dass die Qualität des Angebots in den vergangenen Monaten drastisch abgesunken ist. Das ist nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern in allen Bundesländern so. Der Handlungsbedarf ist groß – und das sieht auch der Landtag. Schließlich steht im Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen geschrieben, dass der SPNV das Rückgrat zukünftiger Mobilität sein soll. Nun hat der Landtag die Expertise vieler Akteur/innen und Entscheidungsträger/innen im SPNV eingefordert. Als Initiative der Bahnbranche hat Fokus Bahn NRW konkrete Maßnahmen aus der Projektarbeit einbringen können, insbesondere zu den Themenbereichen Fahrgastkommunikation, Fahrgastsicherheit, übergreifende Disposition und zu der Initiative zur Fachkräftegewinnung, an der die Branche im Rahmen des Landesprogramms ja sehr erfolgreich arbeitet.


Warum hat der SPNV in den vergangenen Monaten derart an Zuverlässigkeit eingebüßt?


Heinrich Brüggemann: Dafür gibt es nicht den einen Grund, sondern viele Gründe, die sich kumulieren und massiv auswirken. Zum einen gibt es im Schienennetz Nordrhein-Westfalens so viele Baustellen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Knapp 1.000 Baumaßnahmen sind im SPNV-Netz Nordrhein-Westfalens in den kommenden Jahren geplant. Diese sind zwar dringend notwendig, aber sie beeinträchtigen erst einmal die Angebotsqualität. Das zweite große Problem für die Bahnbranche ist der wachsende Fachkräftemangel – und zwar bei allen Berufsgruppen, die für das System Schiene relevant sind. Wir haben zwar im Rahmen unserer Zusammenarbeit bei Fokus Bahn gute Erfolge bei der Gewinnung qualifizierter Bewerberinnen und Bewerber erzielt. Bahnberufe sind heute wieder für viele Menschen in NRW attraktiv. Dort müssen wir anknüpfen und massiv in die Ausbildung investieren. Denn allein vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der geplanten Mobilitätswende fehlen jetzt und in den kommenden Jahren Lokführer/innen, Zugbegleiter/innen und Disponent/innen ebenso wie IT-Kräfte oder Mitarbeiter/innen in den Werkstätten. Hinzu kommen die Belastungen durch die Pandemie, die Unwetterkatastrophe im Sommer 2021 und insgesamt rasante Veränderungen im Marktumfeld, die die Eisenbahnverkehrsunternehmen und ihre Mitarbeitenden teilweise an ihre Grenzen gebracht haben.


Portrait von Heinrich Brüggemann (Verkehrsministerium NRW) Quote

55 Prozent der nicht vorhersehbaren Ausfälle sind tatsächlich dem Fachkräftemangel geschuldet.

Heinrich Brüggemann

MUNV, Fokus Bahn NRW

Gibt es dazu konkrete Zahlen?


Heinrich Brüggemann: Selbstverständlich werden die Qualitätskennzahlen im SPNV NRW regelmäßig erfasst und ausgewertet. Da wird leider schon sehr deutlich, dass die Zuverlässigkeit im SPNV kontinuierlich nachlässt. Nach den zuletzt ausgewerteten Fakten für das dritte Quartal 2022 fielen bereits 8 Prozent der bestellten Verkehrsleistungen vorhersehbar, also vor allem aufgrund von Baustellen, aus. Weitere 6,5 Prozent der erfassten Ausfälle allerdings waren nicht vorhersehbar und durch Fahrzeugstörungen, Mängel an der Infrastruktur und das bei allen Eisenbahnverkehrsunternehmen fehlende Personal bedingt.


Die Ausfälle summieren sich auf 14,5 Prozent. Ist das wirklich schon so dramatisch?


Heinrich Brüggemann: Ja, das ist dramatisch. Gerade Berufspendler/innen spüren diese 14,5 Prozent jeden Tag, insbesondere wenn sie wieder mal einen Anschluss verpasst haben und 20, 30 oder noch mehr Minuten am Bahnhof warten müssen, bevor sie weiterfahren können. Umso wichtiger ist in solchen Situationen beispielsweise eine zuverlässige Fahrgastinformation, die möglichst auch über Fahrtalternativen informiert. Wir sehen, dass sich alle Qualitätskennzahlen verschlechtern. Und wir sehen auch, dass dies die Mitarbeitenden enorm belastet, die oft in Stresssituationen unter Hochdruck beste Lösungen für die Fahrgäste finden und hierzu informieren müssen. Da müssen wir jetzt die notwendigen Verbesserungen anpacken und für die Fahrgäste erlebbar machen.


Und wie kann der SPNV wieder zuverlässiger werden?


Heinrich Brüggemann: Die konkreten Aufgaben hat die Branche in den Projekten unserer gemeinsamen Initiative Fokus Bahn NRW definiert und sie zeigen durchaus Erfolge, wie der Ausbau der Fahrgastinformation oder die unternehmensübergreifende Disposition. Und wir haben bereits eine Vielzahl erfolgreiche unternehmensübergreifende Maßnahmen im Bereich Ausbildung und Qualifizierung realisiert und arbeiten weiter daran. Die jetzt avisierte Fachkräfteoffensive möchten wir schnellstmöglich umsetzen. Außerdem sorgen wir über eine gemeinsame Employer-Branding-Kampagne dafür, dass auch bei einer Ausweitung der Ausbildung alle angebotenen Umschulungs- und Qualifizierungskurse insbesondere für Triebfahrzeugführende mit geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern besetzt werden können.


Der Verkehrsausschuss hat auch über die Sanierung, die Instandsetzung und den Ausbau der Schieneninfrastruktur diskutiert.


Heinrich Brüggemann: Diese Mammutaufgabe liegt vorrangig bei den Infrastrukturunternehmen der Deutschen Bahn AG, also bei DB Netz und bei DB Station und Service. Ihre Umsetzung ist selbstverständlich elementar für den Betrieb des SPNV in NRW. Wir brauchen hier sicher noch mehr Zusammenarbeit und eine verbesserte interne Kommunikation. Fokus Bahn NRW hat vorgeschlagen, Baumaßnahmen durch einen „Infrastrukturbeirat“ zu begleiten. So können Bauvorhaben, notwendige Prozessschritte, Zeitpläne und bei Bedarf auch Planungsänderungen besser abgestimmt werden. Das wiederum verbessert die Bereitstellung von Ersatzverkehren und die für betroffene Fahrgäste so wichtige Information darüber. Auch so entsteht mehr Zuverlässigkeit.


Noch eine Frage zum Abschluss: Ist der SPNV in NRW auf das Deutschland-Ticket gut vorbereitet?


Heinrich Brüggemann: Damit das Deutschland-Ticket zu einem Erfolg im Sinne der Mobilitätswende wird, muss der SPNV wieder zuverlässiger werden. Für mich bietet dieses Ticket eine Chance, die Wahrnehmung – und bei einem gezielten weiteren Ausbau – auch das Erleben des Angebots als klimafreundliche Alternative zum motorisierten Individualverkehr auf eine völlig neue Ebene zu heben. Diese Chance muss genutzt werden, auch wenn die damit verbundenen Veränderungsprozesse tiefgreifend sind.


Weitere Stellungnahmen


zum Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Schienenpersonennahverkehr in Nordrhein-Westfalen muss verlässlich sein“