Fokus Bahn NRW stellt sich dem Fachkräftemangel

Zwei Lokführer stehen an einem Bahnsteig vor einem Zug und begrüßen sich mit einem Lächeln.

Arbeitgeber

27. März 2023

Karin Paulsmeyer, Leiterin der Stabsstelle Fokus Bahn NRW im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr, berichtet über die Herausforderungen des sich weiter verschärfenden Fachkräftemangels in der Bahnbranche – und was dagegen getan wird.


Fokus Bahn NRW will das Engagement gegen den Fachkräftemangel im SPNV erweitern. Ortsunabhängige Online-Kurse für die theoretische Ausbildung zukünftiger Triebfahrzeugführer/innen oder ein Mentoringprogramm für Fachkräfte aus dem Ausland schaffen bereits Anreize für interessierte Bewerber/innen. Neben dem Quereinstieg rückt auch die klassische duale Berufsausbildung für eine nachhaltige Nachwuchssicherung wieder stärker in den Fokus. Stabsstellenleiterin Karin Paulsmeyer gibt Einblicke in die aktuellen Planungen für die unternehmensübergreifende Personalgewinnung und -qualifizierung bei den Bahnen in NRW.


Aktuell gehen im SPNV Nordrhein-Westfalens fast 50 Prozent aller Zugausfälle auf den Mangel an Lokführern und Lokführerinnen zurück. Warum ist die Personallage so angespannt?


Karin Paulsmeyer: Ich darf das hier sehr deutlich sagen, dass die Fahrgäste den Fachkräftemangel im SPNV noch nie so deutlich erlebt haben wie in den vergangenen Monaten. Grund dafür sind umfeldbedingte Einflussfaktoren wie der erhöhte Personalbedarf infolge des 9-Euro-Tickets und coronabedingte Krankheitsausfälle. Allein bei den Triebfahrzeugführerinnen und Triebfahrzeugführern hatte sich der Krankenstand zwischenzeitlich von sechs auf zwölf Prozent verdoppelt. Das ist kein Dauerzustand, zeigt aber deutlich, dass wir zur Stabilisierung des Gesamtsystems SPNV dringend mehr Personal brauchen. Schließlich gewinnt auch der demografische Wandel an Rasanz, die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente. Bei den Bahnen in NRW sind das rund 40 Prozent aller Mitarbeitenden – und zwar an vielen kleinen Einsatzstellen über das ganze Land verteilt. Nun lassen sich an kleinen Standorten keine großen Kurse durchführen. Das macht die Qualifizierung von Lokführerinnen und Lokführern im Vergleich zu den großen Betriebsaufnahmen der vergangenen Jahre schwieriger. Für uns ist es deshalb ein großer Erfolg, dass wir seit dem vergangenen Jahr unternehmens- und ortsübergreifende, zertifizierte Online-Kurse anbieten können.


Portrait von Karin Paulsmeyer Quote

Im Nahverkehr Nordrhein-Westfalens rechnet der VDV mit rund 45.000 fehlenden Fachkräften; 20.000 Stellen werden schon bis 2030 altersbedingt frei, 25.000 Stellen müssen zusätzlich für die Mobilitätswende geschaffen werden. Das sind die Zahlen.

Karin Paulsmeyer

MUNV, Fokus Bahn NRW

Fachkräfte fehlen nicht nur im Bahnverkehr, sondern in nahezu allen Branchen Deutschlands. Was bedeutet das für die langfristige Personalgewinnung?


Karin Paulsmeyer: Wir erleben gerade den Wandel vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt. Bis 2035 werden in Deutschland sieben Millionen Fachkräfte fehlen, sagt das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. Die Personalgewinnung wird somit für viele Branchen eine Herausforderung. Der ÖPNV braucht nach einer Schätzung des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen bundesweit rund 110.000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.


Wir reden beim Thema Fachkräfte aber nicht über Zahlen, sondern über kritische Berufsgruppen im SPNV – Triebfahrzeugführer und Kundenbetreuer, Disponenten, Elektroniker, Mechatroniker und ITler. Wir müssen den Menschen erklären, was diese Berufe für die Mobilität der Zukunft bedeuten. Wir müssen interessierten Bewerberinnen und Bewerbern Einblicke in die Berufsalltage geben und ihnen die Benefits der Bahnbranche nahebringen. Dazu gehören unter anderem der sichere Arbeitsplatz, ein tarifvertragliches Arbeitsverhältnis, familienfreundliche Teilzeitmodelle sowie Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten.


Was für uns dabei immer wichtiger wird, ist die ganzheitliche Begleitung unterschiedlicher Menschen. Dafür stehen wir in einem engen Austausch etwa mit externen Bildungsträgern, mit den Arbeitsagenturen oder mit den Berufsschulen. So haben wir bereits erfolgreich Frauen in den Führerstand geholt und durch unser Mentoringprogramm zugewanderte Fachkräfte gewonnen.


Welche Maßnahmen plant Fokus Bahn NRW für die Personalgewinnung im Jahr 2023?


Karin Paulsmeyer: 2023 möchten wir zunächst den Personalbestand bei Lokführerinnen und Lokführern sowie bei den Kundenbetreuerinnen und Kundenbetreuern im Nahverkehr um drei Prozent steigern. Zusätzlich schaffen wir neue Weiterbildungen zur Qualifizierung zusätzlicher Disponentinnen und Disponenten in den Leitstellen. Davon erwarten wir bereits eine spürbare Stabilisierung des SPNV-Angebots. Um personalbedingte Ausfälle künftig zu vermeiden und auch bei anstehenden Neuvergaben einen stabilen Betrieb sicherzustellen, bilden der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und die Regiobahn mit einer neuen Qualifizierung einen Fachkräfte-Pool, der je nach Personalbedarf bei verschiedenen Bahnen in NRW zum Einsatz kommen kann.


Im Zielbild SPNV NRW 2030 haben wir die Personalverfügbarkeit als wichtiges Handlungsfeld definiert. Wir brauchen eine Beschäftigungsoffensive, um alle benötigten Stellen mit qualifiziertem und motiviertem Personal zu besetzen. Dafür werden wir auch die klassische duale Berufsausbildung „Eisenbahner/in im Betriebsdienst“ wieder stärken und junge Menschen als Nachwuchskräfte an die Bahnbranche binden. Im Landesprogramm Fokus Bahn NRW schaffen wir die Voraussetzungen für die unternehmensübergreifende Personalgewinnung und -qualifizierung bei allen Nahverkehrsbahnen in Nordrhein-Westfalen.